Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
gar nicht vorstellen, wie widerlich sie ist!«
»Du mußt mir von ihr erzählen. Aber laß uns ins Haus gehen.«
Elizabeth ergriff ihre Tasche und ging neben John die mit Unkraut überwucherten Wege entlang.
»Miss Brande hat eine lange, spitze, gebogene Nase«, berichtete sie, »sie ist ganz mager und knochig, am ganzen Körper, und hat riesige, dünne Hände. Ihre Stirn ist unendlich hoch, und ihre Augen liegen in tiefen, roten Höhlen...«
»Na, na«, meinte John lächelnd. Er hatte seine Ruhe wiedergefunden und betrachtete Elizabeth amüsiert.
»Das klingt ja schauerlich. Und wie ist sie sonst?«
»Sie hat mich gequält. Mich besonders, mehr als alle anderen. Sie wollte mir beweisen, daß ich dumm bin und unfähig, irgend etwas gut zu machen. Sie hat mich gedemütigt, jeden Tag neu. Ich habe ihr nie etwas getan, aber sie haßt mich und zeigt es mir mit jedem Wort und jedem Blick!« Elizabeths aufgeregte Stimme war ernster geworden, ihr Gesicht sah sehr verletzlich aus. John ergriff ihre Hand.
»Arme kleine Elizabeth«, sagte er weich. Ihr Herzklopfen steigerte sich wieder. Sie sah ihn verzückt an, denn, wirklich, nun geschah alles wie in ihrem Traum. John stand vor ihr, und alle Schrecken zerrannen, und die Welt bestand nur noch aus Sommerabend, Blackhill, Brennesseln und einem schwarzen Hund, der über die Wiesen tobte.
»Warum«, fragte John, »bist du gerade zu mir gekommen?«
»Weil...« Sie schnappte ein paarmal nach Luft, weil sie einige Augenblicke brauchte, um zu entscheiden, ob sie wirklich so wahnsinnig sein würde, zu sagen, was ihr plötzlich durch den Kopf schoß. Aber es war die einzige und wunderbarste Gelegenheit, hier in diesem Garten, im Schatten, der die scharfen Konturen des Tageslichts verwischte. Johns Gesicht war dicht vor dem ihren, er sah sie an mit der ganzen Liebenswürdigkeit, die er besaß. Elizabeth hörte die Bienen summen, fast dröhnend laut, sie gab sich einen Ruck, und ehe sie sich’s versah, hatte sie es gesagt:
»Ich liebe Sie!«
Gleich darauf überfiel sie heißer Schrecken. Wie konnte sie denn nur so etwas aussprechen! Auch wenn es der Wahrheit entsprach,
so durfte sie das doch niemals sagen! Ihr wurde ganz schwindelig vor Entsetzen über sich selbst, und sie hätte alles dafür gegeben, diese letzten Augenblicke ungeschehen zu machen. Nur mühsam zwang sie sich schließlich, John anzusehen. Sie hatte weggeschaut, während sie dieses alberne Geständnis ablegte, und wußte daher nicht, was in diesem Moment in seinem Gesicht vorgegangen war. Jetzt jedenfalls hatte er es völlig unter Kontrolle. Er lächelte leicht.
»Aber Elizabeth«, sagte er, »das ist ja ein reizendes Kompliment für mich. Ich weiß gar nicht, was ich darauf erwidern soll!«
Elizabeth begriff sofort, daß er sie nicht ernst nahm. Sie hatte ihn weder erschüttert noch verwirrt, sondern nur belustigt. Verzweiflung überkam sie. Er sah sie als Kind, als unreifes kleines Mädchen, das in einer augenblicklichen Schwärmerei für einen erwachsenen Mann entbrannt war. Sie kämpfte die Tränen herunter, die sich schon wieder ankündigten.
»John...«, begann sie, aber er unterbrach sie:
»Wir sollten jetzt wirklich erst einmal ins Haus gehen. Ich bin nämlich nicht alleine hier. Laura ist da, und wir sollten sie nicht so lange warten lassen.«
»Wer ist Laura?«
»Laura Northstead aus London. Zur Zeit lebe ich mit ihr!«
Ich hätte es wissen müssen, dachte Elizabeth, das hätte ich wirklich wissen müssen. John ist doch kein Heiliger, der hier einsam lebt und nur darauf wartet, daß ich komme und ihm eine Liebeserklärung mache.
Sie stand in einem der Salons, verloren mitten auf dem verschlissenen Teppich, und sah Laura Northstead zu, die den Tisch deckte. John war in der Küche verschwunden, und sie hatte nicht gewagt, ihm zu folgen. Nun fühlte sie sich sehr unwohl. Laura war ihr auf den ersten Blick unsympathisch gewesen, und die wiederum hatte sich keinerlei Mühe gemacht, ihre Verachtung für die Fremde zu verbergen. Sie war ihnen auf dem Gang entgegengekommen, bekleidet mit nichts weiter als einem hauchdünnen Mantel aus Seide, der sich bei jeder ihrer geschickten Bewegungen
verschob und viel Nacktheit enthüllte. Ihre dunkelblonden Haare fielen ihr offen bis zur Taille hinab und waren ebenfalls naß. Elizabeth fragte sich schockiert, warum die beiden um diese Zeit badeten und warum sich diese Frau nicht wieder richtig anziehen konnte. Sie hatte ein mageres Gesicht, das sehr
Weitere Kostenlose Bücher