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Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Titel: Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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überfallen worden, am hellichten Tag in seinem Zimmer in einem Wirtshaus! Kannst du dir das vorstellen ? Sie haben ihn niedergeschlagen und gefesselt und ihm sein ganzes Geld weggenommen!«
    »Ach, wirklich?« sagte Elizabeth schwach, und Maureen nickte.
    »Elendes Pack«, meinte die Köchin, die gerade hinzutrat, »an den Galgen gehören sie allesamt!«
    »Man hat die beiden aber doch nicht festnehmen können, oder?«
    »Nein, die waren so schnell weg, wie niemand bis drei zählen könnte. Raffiniert sind sie ja alle. Ich sage immer...«
    »Schon gut, gehen Sie nur in die Küche«, unterbrach Miss Brande, die die weltanschaulichen Monologe der Köchin kannte und fürchtete, »Sie haben ja völlig recht. An den Galgen gehört dieses Gesindel!« Sie saß aufrecht und streng am Kopfende des Tisches, und die Morgensonne fiel auf ihr hageres Gesicht. Sie war wie immer sehr sauber gekämmt, keine Falte ihres grauen Kleides in Unordnung, ihre Hände lagen ruhig neben ihrem Teller. Was immer sie in den letzten Tagen durchgemacht hatte, es hatte ihr nichts von der Unantastbarkeit einer unumschränkten Herrscherin genommen.
    »Warum gehören sie denn an den Galgen?« hörte sich Elizabeth plötzlich sagen. Ihre Stimme klang hell und scharf durch die Stille, und alle fuhren zusammen. Miss Brande hob den Kopf.
    »Wie bitte?« fragte sie. Sie schien in diesem Moment weniger bedrohlich als tief verwundert, da sie, wie die Mädchen auch, angenommen hatte, Elizabeth werde sich in der nächsten Zeit so still wie möglich verhalten und alles tun, um nicht aufzufallen.
    »Bitte?« wiederholte sie.
    Elizabeth spürte, daß sich alle Augen auf sie richteten, und sie hörte Maureen erschrocken atmen.
    »Ich fragte, warum sie an den Galgen gehören«, sagte sie mit
etwas unsicherer, aber deutlicher Stimme, »ich verstehe nicht, wie Sie das so einfach sagen können. Keiner von uns weiß doch, warum diese Leute den Kaufmann überfallen haben. Vielleicht haben sie ganz dringend Geld gebraucht!«
    Niemand erwiderte etwas, nur Belinda kicherte nervös, verstummte aber gleich wieder.
    »Wenn ich dich jetzt richtig verstanden habe, Elizabeth«, sagte Miss Brande mit einer gefährlichen Ruhe, »dann vertrittst du die höchst eigenartige Ansicht, daß jeder, der Geld braucht, berechtigt ist, andere Menschen zu überfallen und sich deren Geld anzueignen?«
    »Nein, so einfach ist das nicht. Was ich meine, ist, daß wir nicht wissen, ob die Leute den Kaufmann aus Habgier überfielen oder ob sie in so großer Not waren, daß ihnen gar nichts anderes übrigblieb. Es gibt Menschen, die sind so arm, daß sie verhungern würden, wenn sie nicht stehlen würden!«
    »Das ist interessant, Elizabeth, wirklich. Wer aus Armut stiehlt, begeht also kein Unrecht!«
    »Jedenfalls muß man sich fragen, auf welcher Seite da das Unrecht liegt. Auf der Seite derer, die verzweifelt versuchen, ihr Leben zu erhalten, oder auf der Seite von denen, die sich immer und immer nur weiter bereichern und alle ausbeuten und niedertrampeln, die ihnen dabei in den Weg kommen!«
    Es schien, als atme niemand mehr im Raum. Alle sahen zu Miss Brande hin, denn noch nie hatte es Derartiges hier gegeben, und jeder erwartete einen schrecklichen Ausbruch. Die Lehrerin selber hatte deutlich eine gewisse Mühe, ihre übliche überlegene Gleichmütigkeit zu bewahren.
    »Wo hast du denn so etwas her?« fragte sie schließlich. »Hier in meinem Haus kannst du mit solchen Ideen nicht in Berührung gekommen sein!«
    »Nein, hier ganz bestimmt nicht«, erwiderte Elizabeth ironisch. Ihr Blick glitt über den sauber gedeckten Tisch, die Teppiche auf dem Boden, die Bilder an den Wänden und über das adrette Kleid der alten Lehrerin. Sie sah plötzlich die abgczehrten Gestalten der betrunkenen Arbeiter vor sich, die sie und die
Sheridys einst in einem einsamen Wirtshaus überfallen hatten, und die armseligen, verschmutzten engen Gassen mit den brüchigen Häusern zu beiden Seiten in dem Londoner Viertel, in dem Samanthas Freund Luke lebte. Und die Erinnerung an John und an Blackhill wurde ganz stark in diesem Moment, sie sah das verfallene Schloß vor sich, den verwilderten Park, den mageren Hund, Laura mit ihrer Schnapsflasche in der Hand und John, der überall nach Geld suchte, um die Reise nach Cambridge bezahlen zu können. Auf einmal fühlte sie einen solchen Zorn, daß alle Angst daneben verblaßte.
    »Was wissen Sie denn schon?« rief sie. »Was wissen Sie denn vom Elend der Menschen und von

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