Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
sie, »das klingt doch sehr unmännlich! Was kann es für einen Mann Schöneres geben, als sein Vaterland zu verteidigen und glorreich zu siegen?«
»Glorreich zu sterben«, murmelte Edward.
»Aber Edward! Das ist natürlich die Kunst dabei. Seine Großartigkeit beweist ein Mann erst dann, wenn er nicht getötet wird!«
»Sei bitte still«, sagte Joanna, »je länger deine Reden, desto geistloser ihr Inhalt!«
»Belinda denkt eben anders als wir«, meinte Edward. Joanna wandte sich ihm zu und gewahrte zum erstenmal bewußt die sanfte Friedfertigkeit in seinen Augen. Sie fragte sich plötzlich, ob seine Unfähigkeit, ein Gespür für alltägliche Begebenheiten zu entwickeln, ob seine Naivität von einer Versunkenheit in ganz andere Gedanken herrührten. Sie wußte, daß er viel las, Bentham, William Blake, Wordsworth und Coleridge. Er hatte ihr einmal gesagt, daß er schwermütige Gedichte liebe, und sie erinnerte sich, wie sie damals ein wenig herablassend gedacht hatte: Als ob du etwas von Schwermut wüßtest!
Wahrscheinlich wußte er mehr, als jeder ahnte. Ernsthafter, als sie sonst mit ihm sprach, sagte sie:
»Belinda denkt wie die meisten Menschen in diesem Land. Vielleicht muß es ja auch sein. Vielleicht müssen wir einen Wahnsinnigen wie Bonaparte bekämpfen. Aber man sollte nicht so tun, als sei das etwas Schönes. Krieg ist so scheußlich und widerwärtig, und jeder müßte das wissen! Ich möchte nie eine Schlacht aus der Nähe miterleben müssen, niemals!«
»Ich habe eine Ausbildung bei der Navy hinter mir«, sagte Edward, »aber ich nahm meinen Abschied. Ich kann das einfach nicht, andere Menschen erschießen oder mit einem Säbel durchbohren. Ich kann ja nicht einmal eine Fliege totschlagen!«
Joanna lächelte ihn an.
»Das«, sagte sie sanft, »ist es, was ich am meisten an Ihnen mag, Edward.«
»Ja, aber natürlich habe ich ein schlechtes Gewissen. Bonaparte muß zurückgewiesen werden. Wir können nicht zulassen, daß die ganze Welt unter ihm leidet. Und ich halte mir die Hände sauber.«
Joanna schwieg nachdenklich. Vom Schiff her klang plötzlich ein vielstimmiger Jubelruf. Alle Segel waren gehißt, und gerade wurde der Anker gelichtet. So langsam, daß man es zuerst gar nicht wahrnahm, setzte sich das große Schiff in Bewegung.
»Eure Unterhaltung ist zwar sehr tiefsinnig, aber nicht interessant«, bemerkte Belinda, »ich werde fortgehen und sehen, ob ich Arthur irgendwo finde. Er müßte hiersein.« Lord Arthur Darking war ein junger, reicher Adliger, der sich vor zwei Jahren mit Belinda verlobt hatte, die Heirat jedoch beharrlich hinauszögerte. Jeder in der Grafschaft lachte bereits über seine fadenscheinigen Ausflüchte, ohne Belindas satte Selbstzufriedenheit auch nur im mindesten berühren zu können.
»Wir sehen uns heute abend bei Edwards Frühlingsfest«, rief Belinda noch, ehe sie unter ihrem kokett wippenden Sonnenschirmchen davonspazierte.
»Ich gehe auch nach Hause«, sagte Joanna, »bis heute abend, Edward.«
»Sie kommen doch wirklich?«
»Ja, natürlich.« Sie lächelte ihm zu und begann, sich einen Weg zu ihrer Kutsche zu bahnen. Der Kutscher erwachte bei ihrem Kommen aus dem kurzen Schlaf, den er gehalten hatte, half ihr in den Wagen und lenkte das Gefährt aus der Stadt hinaus. Wie immer begann Joanna freier zu atmen, sobald sie die weiten, grünen Wiesen sah und den salzigen Meeresgeruch spürte. Sie lehnte den Kopf zum Fenster hinaus, um sich den warmen, duftenden Frühlingswind um die Nase wehen zu lassen und die vielen Gänseblümchen zwischen hellem Gras zu sehen. Als sie das Eisentor zu Heron Hall passierten, seufzte sie tief. Nichts konnte sie so sehr lieben wie diese Heimat.
Vor dem alten Haus auf dem Rasen lag Harriet in viele Decken gehüllt auf einem Stuhl, das Gesicht im Schatten eines riesigen Hutes. Ihre dünnen, zittrigen Finger hielten einen weißen, zusammengefalteten Brief, eng mit schwarzer Tinte beschrieben. Der matte Ausdruck ihrer Augen veränderte sich kaum, als ihre Tochter auf sie zukam.
»Guten Tag, Mutter«, grüßte Joanna. Sie ließ sich neben dem Stuhl in das weiche Gras gleiten. »Wie geht es Ihnen?« fragte sie gewohnheitsmäßig.
»Nicht gut, wie immer«, entgegnete Harriet mit schwacher Stimme.
»Das tut mir leid. Sie haben einen Brief bekommen?«
»Aus Italien. Von Cynthia.«
»Geht es ihr gut?«
»Jaja. Sie machen sich ein feines Leben dort!«
Cynthia und Anthony waren nach ihrer Flucht nicht lange in Frankreich
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