Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
mich, nur wegen meiner Vergangenheit. Ich muß ganz in seine Welt gehören...«
»Selbstaufgabe ist aber nicht gut«, unterbrach Sally. »John neigt dazu, das von Menschen zu fordern, aber Sie sollten sich das nicht gefallen lassen!«
»Aber ich liebe ihn so sehr. Dabei denke ich manchmal...« Elizabeth stockte, aber sie sah Sallys kluge Augen voller Verständnis auf sich gerichtet.
»Ich durchschaue ihn jeden Tag weniger«, sagte sie leise. »Oft habe ich Angst, daß ich ihm nicht mehr bedeute als Essen und Trinken. Etwas, das er vom Leben mitnimmt, ohne daß es ihm wirklich wichtig ist. Es sind ganz andere Dinge, die ihn bewegen, die ihn träumen, hoffen und leben lassen.«
»Es ist ganz natürlich, daß Sie das befürchten. Sie sind sehr jung, und ich glaube — John ist Ihre erste Liebe? In Ihrem Alter glauben viele, die Liebe sei das einzige und das Höchste, was das Leben zu bieten hat, und die meisten werden enttäuscht, weil die Liebe diesem Anspruch nicht gerecht werden kann. Und was John selber betrifft...«
»Sprechen Sie weiter!«
Sally lächelte.
»Überschätzen Sie ihn nicht«, sagte sie. »Sie sind sehr viel jünger als er, aber ich glaube, auch sehr viel stärker. John erscheint mir manchmal krank. Er ist jemand, der mit dem Leben nicht fertig wird.«
»Meinen Sie das wirklich?«
»Ich bin sicher.«
Elizabeth stand vorsichtig auf. Erleichtert stellte sie fest, daß ihre Beine sie wieder trugen.
»Ich danke Ihnen, Mrs. Stewart«, sagte sie und wußte, daß sie in dieser Frau eine Freundin für ihr ganzes Leben gefunden hatte, »Sie haben mir sehr geholfen.«
Sie traten wieder in das Nebenzimmer, wo das Essen gerade beendet wurde. John kam auf Elizabeth zu.
»Geht es dir besser?« fragte er. Elizabeth sah ihn an, blickte in seine Augen, die ihr so vertraut waren, als habe sie ihr Leben lang nichts anderes gesehen.
Ich werde bei dir bleiben, dachte sie, wer du auch bist, was immer
du getan hast und tun wirst, mich wirst du niemals wieder los. Und wenn wir zusammen untergehen!
Sie verabschiedeten sich von Patrick und Sally und verließen das Haus. Draußen schneite es wieder, und der saubere, glitzernde Schnee verschönte die uralten Gassen und schiefen Häuser. Hand in Hand liefen sie zurück, Elizabeth immer noch hungrig, aber gar nicht weiter darauf achtend. Sie meinte, älter geworden zu sein in der letzten Stunde und erfahrener. Sie begann, ihre Kindheit abzustreifen und in ein anderes Leben einzutauchen. In den blühenden Gärten von Heron Hall, in den Ballsälen Londons, in jeder unbeschwerten Stunde mit Joanna hatte sie geahnt, daß leben mehr sein mußte als gleichförmige Unbeschwertheit. Sie hatte sich nach jener ebenso schönen wie bitteren Unvollkommenheit gesehnt, die sie nun in John fand und von der sie wußte, daß sie ihr weiteres Schicksal bestimmen würde.
Verbotene Wege
1803
1
In allen Straßen von King’s Lynn wurde ein lärmendes, buntes Voksfest gefeiert, lagen Blumen auf den Steinen, schmückten britische Fahnen die Häuser, tanzten die Menschen zu fröhlicher Blasmusik. Die lustigste Stimmung herrschte im Hafen. Hier hatten sich unüberschaubare Mengen versammelt, die sich bis dicht an die Hafenmauer drängten, jubelten und lachten. Ein zu strahlender Schönheit aufgeputztes Schiff lag hier vor Anker, weiß glänzend in der hellen Frühlingssonne, so sauber und freundlich, als wolle es Menschen ihre Reise in andere Länder so heiter, wie es nur sein konnte, gestalten. Doch wer schärfer hinsah, erkannte hinter den bunten Bändern und gebauschten Segeln schwarze, schweigende Kanonen, bedrohlich in ihrer stummen Unbeweglichkeit. Dieses Schiff würde die Meere befahren, um Krieg zu führen, es würde schießen und beschossen werden und, ob siegreich oder nicht, es konnte in jeden Hafen immer nur einkehren mit zerfetzten Segeln, geknickten Masten, mit Blut und Leid und Schmerzen an Bord.
Doch so weit dachte an diesem Tag niemand. Voll Stolz und Glück betrachteten die Menschen die vielen jungen Soldaten, die in ihren schönen neuen Uniformen an der Reling standen und zum Land herüberwinkten, lächelnd und zuversichtlich, angesteckt von der großen Begeisterung, die ihnen entgegenschlug, und von der Hoffnung, jeder einzelne von ihnen werde sein Leben für die Verteidigung Englands einsetzen und nach hartem Kampf siegreich zurückkehren.
Der Patriotismus versetzte an diesem Tag beinahe jeden auf
der Insel in einen Glücksrausch. Denn gestern, am 18. Mai des
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