Verbrannte Träume.
daß wir es überleben. Ich hatte genug von dem Theater. Der Lieferant mochte die Sendung ja pünktlich abgeschickt haben, man mußte jedoch auch die Post in die Berechnungen von Ankunftszeiten einkalkulieren, die brauchen manchmal etwas länger. Und dann: Kugelschreiber! Wenn er behauptet hätte, es ginge um ein Paket mit Goldbarren …
»Wahrscheinlich hast du recht«, sagte ich,
»der Typ wird deine Kulis geklaut haben. Warum, meinst du, war er denn eben noch mal an der Tür? Wollte er nachsehen, ob noch ein Paket gekommen ist?«
Bevor er mir antworten konnte, faßte ich mir an die Stirn, als sei mir gerade etwas Wichtiges eingefallen.
»Aber er hat geklingelt! Vielleicht wollte er sich bei dir entschuldigen und die Kulis zurückgeben. Ja, das wird es gewesen sein. Er hat bestimmt gedacht, es wäre was Wertvolles in dem Paket. Als er sah, daß es nur Kulis waren, dachte er, das lohnte sich nicht. Da kam er noch mal her und wollte seine Beute abliefern. Und du hast ihm nicht aufgemacht, zu blöd, nicht wahr?«
Ulli starrte mich an. Es war ihm noch nie passiert, daß ich den Spieß umdrehte. Seine Stimme klang ruhig, aber auch kalt, als er nach einer Weile den Mund aufmachte:
»Man klingelt an einer Tür, Herzblatt, wenn man feststellen will, ob jemand daheim ist. Wenn niemand öffnet, geht man davon aus, es ist niemand da. Und dann geht man hinein, macht es sich gemütlich und wartet in aller Seelenruhe ab, bis jemand heimkommt. Und dann kann der Tanz losgehen. Das weißt du doch, das hast du doch neulich noch gesehen.«
Er spielte auf einen Film an, der am vergangenen Wochenende noch ziemlich spät auf RTL gelaufen war, den ich mir unbedingt hatte ansehen wollen. Deshalb hatten wir auch ein bißchen Ärger gehabt. Ulli wollte nicht bis vier Uhr nachts vor dem Fernseher sitzen, aber auf Video aufnehmen wollte er mir den Film auch nicht. Angeblich war kein Platz mehr auf den Cassetten. Ich hätte ja noch ein halbes Dutzend Schinken, die ich erst weggucken müsse, hatte er gesagt. Da mußte er alleine ins Bett gehen. Ich blieb auf der Couch liegen und schaute mir an, wie der Killer es sich in einem Wohnzimmer gemütlich machte. Und als die Leute nach Hause kamen, schlachtete er sie ab. Schön der Reihe nach.
»Wir sind aber hier nicht bei RTL«, sagte ich.
»Du kannst aufhören mit dem Mist. Das zieht heute nicht. Hol dein Auto, pack deinen Koffer aus. Dann stecke ich deine Hemden noch in die Maschine. Und dann machen wir Feierabend.«
Ulli verzog das Gesicht. Es sollte abfällig oder überheblich wirken, tat es aber nicht.
»Ich muß noch mal weg«, sagte er.
»Ein wichtiger Termin. Hatte ich völlig vergessen. Tut mir leid, Schätzchen, wir verschieben unseren Feierabend auf später.«
Er ging zum Schrank und nahm eine der Dosen herunter. Dann öffnete er den Schrank, schaute sich die Lebensmittel an, griff nach den beiden Päckchen mit Traubenzucker. Ausgerechnet danach! Ich brauche Traubenzucker! Meine Bauchspeicheldrüse ist nicht in Ordnung. Ich bin nicht zuckerkrank, im Gegenteil. Es nennt sich Hypoglykämie und bedeutet, daß der Blutzuckerspiegel hin und wieder absinkt, weil zuviel Insulin produziert wird. Warum das so ist, haben die Ärzte trotz einer gründlichen Untersuchung vor ein paar Jahren nicht eindeutig feststellen können. Es ist auch nicht so schlimm, daß ich ständig in ärztlicher Behandlung sein müßte. Das erzählte ich nur, und daß mir oft schwindlig wurde. War als Ausrede, wenn man mal keine Lust hatte, nicht zu verachten. In Behandlung war ich nicht mehr deswegen, ich kam gut allein damit zurecht. Wenn ich mich vernünftig ernähre, mehrere kleine Mahlzeiten über den Tag verteilt, nach Möglichkeit kein Zucker, der die Bauchspeicheldrüse zur vermehrten Insulinproduktion anregen würde, passiert gar nichts. Aber manchmal genügt ein kleiner Ausrutscher, dann bekomme ich ein hohles Gefühl im Magen, meine Hände zittern, mir wird schwindlig. Manchmal passiert es auch, wenn ich mich aufrege. Und wenn es passiert, nehme ich einen Löffel Traubenzucker, der wird am schnellsten vom Körper aufgenommen, dann ist alles wieder in Ordnung. Ein Arzt hat mir damals erklärt, und genauso hatte ich es Ulli erzählt, daß ich im schlimmsten Fall ins Koma fallen könnte. Wenn der Blutzuckerspiegel zu stark absinkt. Was ohne weiteres geschehen kann, wenn die Krankheit sich weiterentwickelt. Das hat sie nicht getan, aber das hatte ich Ulli nicht erzählt. Ihm hatte ich gesagt, daß ich
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