Verbrechen im Mädchenpensionat
daraus.«
»Machen Sie keine Witze! Diese
Messerschneide zwischen ihren Schulterblättern gehört nicht zu ihrem
Abendkleid. Ich kenne die Todesursache, und ich weiß, wann es passiert ist.
Vergessen Sie nicht, daß ich dabei war.«
Der Fotograf von der
Mordabteilung kam herbei und begann, auf allen Ebenen Aufnahmen zu machen. Als
er fertig war, rollten die beiden Ambulanzmänner die Bahre herbei.
»Wollen Sie einen Blick auf die
Waffe werfen, Doc?« rief einer herüber.
Doc Murphy nickte. Sein Gehilfe
nahm das Messer vorsichtig heraus, um keine möglicherweise vorhandenen
Fingerabdrücke zu verschmieren, legte es in einen Plastikbeutel und brachte es
herüber.
»Schickes Ding«, brummte der
Doktor.
Er hielt es mir hin. Es war ein
schönes dreikantiges Stahlding. Der Griff war sorgfältig mit feinen
Goldstreifen ziseliert. Wer immer Jean Craig ermordet hatte — die Waffe war
nicht aus einer augenblicklichen Eingebung heraus ergriffen worden.
Hinter uns trugen die beiden
Männer in Weiß die Leiche des Mädchens vom Stuhl auf die Bahre.
»Wenn Sie eine fachmännische
Vermutung hören wollen, was die Todesursache anbetrifft, so würde ich sagen,
ein Messer wie dieses hier ist wahrscheinlich geradewegs ins Herz gedrungen«,
sagte Doc Murphy.
»Dann haben wir entweder einen
Mörder, der Glück gehabt hat, oder einen, der im Dunklen sehen kann.« Ich
betrachtete die Waffe finster. »Könnte es ein Mädchen fertiggebracht haben?«
»Mit einem so scharfen Messer
wie diesem hier bedurfte es keiner großen Kraft. Ein Schulmädchen hätte es
fertiggebracht.« Er grinste. »Damit sind Ihnen für den Anfang ungefähr fünfzig
Verdächtige beschert worden, was, Wheeler?«
»Bleiben Sie bei Ihrer
Medizin«, riet ich ihm. »Als Polizeibeamter brächten Sie doch nichts anderes
zustande, als den Lauf der Gerechtigkeit zu verhindern.«
Die Männer hatten das tote
Mädchen auf eine Bahre gelegt, sie mit einem schweren Segeltuch zugedeckt und
waren nun dabei, die Riemen zurechtzuziehen. Einer von ihnen kam herüber und
reichte mir einen Empfangsschein.
»Was für eine Verschwendung,
Lieutenant, wie? Sie war wirklich ein leckerer Happen.«
»Ich ziehe meine Happen warm
vor«, sagte ich, unterschrieb den Schein und gab ihn zurück. Er blinzelte mir
zu, kehrte zu seinem Kollegen zurück, und sie rollten die Bahre auf die Tür zu.
»Ich werde mich mit Ihnen in
Verbindung setzen«, sagte der Doc. Er folgte seinen Leuten. Ich blieb noch
ausreichend lange da, um einen letzten Blick in die Runde zu werfen und meine
Ansicht über das Glück zu äußern, gerade rechtzeitig eingetroffen zu sein, um
mir diese neuerlichen Kopfschmerzen zuzuziehen. Dann verließ ich die Aula
ebenfalls.
Der Fotograf und Slade , ein kleiner Bursche mit einer randlosen Brille und
wenig oder gar keinem Kinn, warteten auf mich.
»Haben Sie noch etwas für mich
zu tun, Lieutenant?« wollte der Fotograf wissen. Er warf einen Blick um sich und
grinste. »Hier müssen recht viele Kunststudien getrieben werden. Nicht daß die
Blonde übel gewesen wäre. Aber ich bin nun mal nicht scharf auf Stilleben .«
»Wenn uns noch etwas einfällt,
schicken wir nach Ihnen«, sagte ich. Wir warteten, bis er den Korridor
entlanggegangen und durch die Tür, die zum Parkplatz führte, verschwunden war.
Damit blieben nur noch Slade und ich zurück — als letztes Stadium vor dem
Alleinsein. Ich nahm ein Päckchen Zigaretten aus meiner Tasche und bot es ihm
an.
»Nein, danke, Lieutenant«,
sagte er. »Ich rauche nicht.«
»Es tut mir leid, daß ich Ihnen
nichts zu trinken anbieten kann«, sagte ich mit einem Grinsen.
»Das ist okay«, sagte er. »Ich
trinke nicht.«
Er blickte sich verwundert um.
»Was hat er mit >Kunststudien< gemeint? Was für ein Etablissement ist
denn das hier?«
»Es ist eine Finishing School für junge Damen«, sagte ich. »Aber das
interessiert Sie natürlich nicht, oder?«
Ich hörte Schritte, und gleich
darauf erschien im Korridor ein Mann, der auf uns zukam. Er war jung. Sein
Haarschnitt war seit drei Monaten überfällig, und auf seinen gesträubten
Schnurrbart traf dasselbe zu. Er trug eine schwere Seidenjacke, Kordhosen und unter der Jacke ein hellrotes Seidenhemd mit
einer schludrigen schwarzen Samtfliege.
»Heiliger Strohsack!« sagte Slade mit ehrfürchtiger Stimme. »Ist das eine der jungen
Damen, von denen Sie mir erzählt haben?«
»Erschüttern Sie nicht meinen
Glauben an das weibliche Geschlecht«, sagte ich. »Ich gehe jede
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