Verbrechen im Mädchenpensionat
Wette mit Ihnen
ein, daß dies das Individuum ist, das hier Kunst lehrt.«
Das Mähnenschaf mit dem
überlangen Schnurrbart blieb vor uns stehen.
»Ist vielleicht einer von den
Gentlemen Lieutenant Wheeler?« fragte er mit hoher Stimme.
»Allerdings«, sagte ich.
»Welcher?«
»Der da«, sagte Slade .
»Wer Sie sind, brauche ich
nicht zu fragen«, sagte ich und grinste zu Slade hinüber. »Sie sind Mr. Pierce, der Zeichenlehrer.«
»Nein, wieso?« sagte er
verdutzt. »Ich bin Dufay, der Sprachlehrer, Augustus Dufay. Wie kommen Sie auf
den Gedanken, ich sei Zeichenlehrer?«
Slade kicherte, erinnerte sich dann
gerade rechtzeitig an meinen Rang und brach abrupt ab.
»Es muß an dem eleganten
Straßenanzug liegen«, sagte ich. »Wollten Sie etwas von mir?«
»Miss Bannister hat Edward und
mich gebeten — Edward Pierce natürlich — , hierzubleiben, bis die Polizei
eintrifft«, sagte er. »Eine überaus unerfreuliche Aufgabe, Lieutenant. Die Nähe
einer Leiche entnervt mich leider, und als der Doktor eintraf, gingen wir weg.
Es kam mir nur der Gedanke, daß wir um Erlaubnis hätten fragen sollen, und ich wollte mich für unser Weggehen entschuldigen.«
Er blinzelte mich
erwartungsvoll an. »Ich hoffe, es hat nichts ausgemacht?«
»Schon gut«, sagte ich. »Wo ist
Pierce jetzt?«
»In seinem Zimmer, glaube ich«,
sagte er angeekelt. »Ich vermute, er raucht seine stinkenden Zigaretten und
trinkt wahrscheinlich Whisky.«
»Sie rauchen und trinken
nicht?« fragte ich ihn.
»Widerwärtige Angewohnheiten«,
sagte er.
»Sie und Slade hier müssen es ja zu etwas bringen«, sagte ich. »Sie haben beide saubere Lungen
und gesunde Lebern. Sie haben eine Menge Gemeinsamkeiten.«
Sie warfen einander einen
beunruhigten Blick zu und bestätigten einander ihre gegenseitige Abneigung.
Dann entließ Dufay Slade mit einer gekonnten
Schulterbewegung und wandte seine Aufmerksamkeit mir zu. Er legte die
Handflächen gegeneinander, wobei er die Fingerspitzen zusammenpreßte wie ein Mann, der sich auf seinen ersten Sprung in den Ozean vorbereitet, und
murmelte höflich: »Kann ich jetzt gehen?«
»Wenn Sie schon hier sind,
möchte ich gern einige Fragen an Sie stellen«, sagte ich. »Kannten Sie das
Mädchen?«
»Die Craig?« sagte er. »Als
Schülerin, natürlich.«
»Können Sie sich irgendeinen
Grund vorstellen, warum Sie irgend jemand umbringen
wollte?«
»Einige der Mädchen waren
eifersüchtig auf sie«, sagte er, »Sie war ein recht gut aussehendes Mädchen,
wissen Sie, und sie stammte aus einer besonders wohlhabenden Familie. Sie warf
immer mit viel zuviel Geld um sich.«
»Gibt es noch irgendwelche
anderen Gründe?«
»Nun...« Er warf flüchtig einen
nervösen Blick über seine Schulter, bevor er weitersprach. »Das muß streng
vertraulich bleiben, Lieutenant. Verstehen Sie? Ich weiß, daß sie
freundschaftlich — sehr freundschaftlich — mit Pierce stand. Leider neigt
Edward dazu, immer die Grenzen zwischen Lehrer-Schüler- und persönlichen
Beziehungen zu überschreiten.«
»Wäre das ein Grund für ihn
gewesen, sie umzubringen?«
»Um Himmels willen,
Lieutenant«, sagte er mit erschrockener Stimme, »ich habe keine Ahnung. Ich
habe meine Lehrer-Schüler-Beziehungen immer innerhalb der gebotenen Grenzen zu
halten gewußt. Und außerdem«, fügte er grinsend hinzu, »bin ich bereits
verlobt.«
»Wie sieht sie denn aus?«
fragte Slade mit ehrfürchtiger Stimme.
»Sie haben Agatha
wahrscheinlich bereits gesehen«, sagte er stolz. »Man sieht sie auf den ersten
Blick. Sie ist ein ausgesprochen sportlicher Typ, wissen Sie. Sie strotzt
förmlich vor Gesundheit.«
Ich schloß für eine Sekunde die
Augen, von einer Vision überwältigt, und öffnete sie dann wieder. »Sie sprechen
doch nicht zufällig von Miss Tomlinson?«
»Sie haben sie also bemerkt!«
sagte er mit zufriedener Stimme. »Ist sie nicht wundervoll?«
»Spitzenklasse«, sagte ich.
»Eine hundertprozentig prima Idee. Meine Gratulation, Nelken, Rosen und so
weiter!«
»Ist Ihnen auch gut,
Lieutenant?« fragte Slade ängstlich.
»Supergrandios, danke«, sagte
ich.
Schwere Schritte kamen den
Korridor entlanggestampft, und im nächsten Augenblick tauchte Polnik auf. Er verlangsamte sein Tempo bis zu einem Trott
und blieb dann, nach Luft schnappend, vor uns stehen.
»Haben Sie Mephisto gefunden?«
fragte ich.
Er nickte, noch immer atemlos.
»Ich habe ihn gefunden.«
»Großartig!« sagte ich. »Warum
haben Sie ihn nicht mitgebracht?«
»Nur
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