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Verbrechen ist Vertrauenssache

Verbrechen ist Vertrauenssache

Titel: Verbrechen ist Vertrauenssache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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wäre dieser die größte Fernsehkamera, die je gebaut worden war. »Ich glaube, wir alle haben zuviel an das Geld gedacht. Sie und ich und Dwayne und alle anderen.«
    »Ich weiß nicht, was Sie meinen«, sagte Tom. Er bemühte sich, ein ausdrucksloses Gesicht zu machen, musste aber die ganze Zeit Archibald anstarren wie ein Vogel die Schlange.
    Archibald überging Toms zaghaften Einwand. Mit einem theatralischen Seufzer fuhr er fort: »Ich will keinen von uns entschuldigen, Tom, nein, ganz bestimmt nicht. In dieser Sache haben wir alle uns schuldig gemacht. Ich hätte mehr Zeit darauf verwenden sollen, darüber zu sprechen, was Geld bewirken kann, und nicht immer nur sagen sollen, dass wir mehr davon brauchen.«
    Er ist ein Lügner, rief Tom sich ins Gedächtnis, er ist ein Lügner und ein Scharlatan, und er versucht bloß, mir seinen üblichen Mist zu verkaufen. Tom wusste , dass es so war, und er hatte recht und wusste, dass er recht hatte, aber dennoch erzeugten diese honigsüße Stimme und die glatten Worte einen Sog. Er klammerte sich an Nebensächliches, weil er es nicht wagte, an die Hauptsache zu denken. »Geld kann nie etwas Gutes bewirken«, sagte er.
    »Aber das stimmt nicht, Tom«, erwiderte Archibald, »und das ist der Punkt, wo ich gefehlt habe. Ich habe gefehlt, Tom. Ich habe Ihnen und den anderen Mitarbeitern Unrecht getan, ich habe jedem guten Menschen, der je sein Vertrauen in mich gesetzt hat, Unrecht getan. Weil ich immer nur nach Geld gefragt und es unterlassen habe, es verabsäumt habe zu sagen, wofür das Geld bestimmt ist.«
    »Es ist für Sie bestimmt«, sagte Tom und fand sich überraschendmutig, weil er diesem Mann die Stirn bot und ihm die Wahrheit wenigstens ein einziges Mal ins Gesicht sagte, ohne den Schlag abzumildern.
    »Nein, Tom, es ist für den Kreuzzug«, berichtigte Archibald ihn, doch sein Ton blieb sanft, und auf seinem Gesicht lag noch immer der Abglanz der frommen Denkungsart. »Das Fernsehen kostet uns ein Vermögen, Tom, aber wie sollten wir ohne das Fernsehen die Kinder Gottes erreichen? Und die Beratungen, die Versammlungen, all unsere Anstrengungen … Ich weiß zwar, dass einige der guten Werke, die wir tun, genaugenommen nicht im Dienst des Herrn geschehen, dass sie nicht zur Stärkung des Glaubens dienen, sondern eher in den Bereich der Sozialarbeit fallen, aber ich glaube, der Herr kann und wird uns unsere Suppenküchen und Schulspeisungen vergeben –«
    »Das Geld ist für Sie !« rief Tom. Er spürte, wie er in Archibalds Platitüden unterging, wie er in dieser falschen Frömmigkeit versank, wie seine eigenen Gewissheiten unter dem dickflüssigen Schlamm von Archibalds Philosophie begraben wurden. »Es ist alles nur für Sie! Der Rest ist bloß eine Schmierenkomödie, eine Tarnung!«
    Archibald seufzte – er war jetzt nicht so sehr Sünder, nein, man versündigte sich an ihm. Er lehnte sich auf dem kleinen Stuhl zurück und betrachtete Tom mit einem traurigen Blick, der die Bereitschaft zur Vergebung signalisierte, während er über das Gesagte nachdachte. Schließlich antwortete er: »Ich hatte schon vermutet, dass Sie so über unsere Mission denken, Tom, und ich bin froh, dass Sie Ihr Herz erleichtert und es ausgesprochen haben, damit wir es uns ansehen können.«
    »Es stimmt, und das wissen Sie.«
    Erneut ein Seufzer. »Und das ist wohl der Grund«, sagte Archibald, »warum Sie diesen Männern geholfen haben?«
    Eine massive Wand. Sie türmte sich vor Tom und seinem weiteren Lebensweg auf. Eine riesige, massive, undurchdringliche Wand, direkt vor ihm. Seine Kehle schmerzte, seine Augen schmerzten, als er sich seines Verlustes bewusst wurde. Er sah zu Dwayne Thorsen, der mit steinernem Gesicht dastand, und dann wieder zu Archibald. Sie warteten auf eine Antwort. Und auch er wartete auf seine eigene Antwort. Er und sie wollten wissen: Würde Tom lügen? Würde er an diesem Punkt, an diesem Wende- und Tiefpunkt seines Lebens lügen? Oder würde er die Wahrheit sagen?
    »Ja«, sagte Tom.
    Diesmal schien Archibalds langer Seufzer aufrichtiger und menschlicher zu sein, und sogar Dwayne veränderte kurz die Haltung, auch wenn sein Gesicht unbewegt blieb. Leichthin, als wäre es gar nicht wichtig, sagte Archibald: »Und wissen Sie, wo sie jetzt sind, Tom?«
    »Nein.«
    »Ach, Tom«, sagte Archibald. »Enttäuschen Sie mich jetzt nicht. Sie haben gerade begonnen, Ihr Herz zu öffnen – verschließen Sie es nicht gleich wieder.«
    »Ich weiß nicht, wo sie sind«,

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