Verbrechen ist Vertrauenssache
sitzen hier irgendwo im Publikum. Oder sagt man Gemeinde? Wie nennen Sie diese Menge?«
»Die Menge.«
»Tja, also vielleicht haben sie sich unter die Leute gemischt. Oder vielleicht brausen sie über die Interstate. Aber wenn sie das tun, kriegen wir sie, und ich nehme an, dass sie das wissen, und darum nehme ich an, dass sie das nicht tun. Vielleicht sind sie letzten Monat schon hier gewesen und haben sich zwei Blocks von hier eine kleine Wohnung gemietet. Wir werden das überprüfen. Wir werden alles überprüfen. Aber es wäre schön, wenn Ihr Mann, dieser Tom …«
»Tom Carmody.«
»Wäre schön, wenn dieser Tom Carmody wüsste, was als nächstes passieren soll«, sagte Calavecci. »Ich finde es immer gut, wenn man nicht lange herumraten muss.«
Carmody war bei Bewusstsein, als Dwayne und Calavecci im Krankenhaus eintrafen, doch die Ärzte wollten keine Einwilligung zu einer Vernehmung geben. »Quatsch«, sagte Calavecci, und das hätte er lieber nicht sagen sollen.
»Warten Sie«, sagte Dwayne. »Lassen Sie mich mal was versuchen.«
»Versuchen Sie, was Sie wollen«, sagte Calavecci, »solange Ihr Freund uns nur sagt, wohin seine Freunde verschwunden sind.«
Während Calavecci seine Kollegen in Memphis bat, eine gewisse Mary Quindero zu vernehmen – nur für den Fall, dass Tom seiner Freundin irgend etwas Verwertbares verraten hatte –, rief Dwayne im Hotel an. Archibald war in seiner Suite und wütete im Hintergrund, als Tina den Hörer abnahm und sich mit dem atemlosen Lispeln meldete, bei dem sich Dwayne alle Haare aufstellten. Der Mann im Hintergrund brüllte unentwegt – ach, wie er es hasste, Geld zu verlieren. »Ich muss mit Will sprechen«, sagte Dwayne.
»Oh, Dwayne , er regt sich so auf. Ich bin mir sicher, dass er mit dir sprechen will.«
Und so war es. Dwayne stand im Krankenhauskorridor am Münztelefon und musste sich jede Menge überflüssiges Gerede anhören. Schließlich unterbrach er Archibald. »Will, du kannst uns hier helfen.«
Dies brachte den Redefluss ins Stocken. »Helfen? Wo?«
»Ich bin im Krankenhaus bei Tom Carmody. Die Ärzte wollen nicht, dass er von der Polizei vernommen wird, aber seelsorgerische Betreuung müssen sie ihm gewähren. Also werden wir ihm die Fragen stellen.«
»Fragen? An Tom?« Dwayne hörte förmlich, wie der Groschen fiel. »Dwayne! Glaubst du wirklich, der fiese kleine Perverse – du glaubst, es war er ?«
»Er gehört jedenfalls dazu. Komm her, Will.«
In einem kleinen, kahlen Besprechungszimmer des Krankenhauses setzte Dwayne seinen Chef ins Bild, bevor sie gemeinsam zu Tom gingen. »Hör zu, Will: Wenn wir wütend werden oder ihm angst machen, werden wir nichts aus ihm herausquetschen.«
»Ich würde ihm am liebsten die Eier zerquetschen, diesem niederträchtigen kleinen …« stieß Archibald hervor, doch dann gingen ihm die Worte aus, die zu gebrauchen er sich erlauben konnte.
»Das ist die falsche Einstellung, Will«, sagte Dwayne geduldig. »Wir wollen alle Informationen, die Tom Carmody in seinem Kopf hat, und es gibt nur eine einzige Möglichkeit, an sie heranzukommen: Wir müssen da reingehen und die Vergebung aller Sünden predigen.«
»Vergebung!« Archibald erstickte beinahe an diesem Wort. Sein stämmiger Hals über dem Hemdkragen rötete sich.
»Scheiße, Will, das tust du doch die ganze Zeit vor einem Millionenpublikum. Dieses eine Mal tust du es eben vor einer einzigen Person. Verdammt, wir wollen das Geld zurück.«
»Stimmt«, gab Archibald ihm recht. Er lehnte sich zurück und nickte. »Ich muss mich kurz einstimmen.«
»Tu das.«
Archibald saß mit halbgeschlossenen Augen da, und als er die Fingerspitzen aneinanderlegte, dachte Dwayne erstaunt, er wolle beten. Doch das tat er nicht. Er holte tief Luft, rang sich ein Lächeln ab, stand auf und sagte: »Na gut, Dwayne, dann wollen wir mal Balsam auf die Wunden dieses kleinen Scheißers streichen.«
SECHS
Tom Carmody lag in einem kleinen, kahlen Einzelzimmer des Krankenhauses auf dem Rücken in einem hohen, harten Bett. Er war verletzt, er war allein, und es ging ihm dreckig. Nun, seit er wusste, was für ein unglaublicher Idiot er war, versuchte er zu entscheiden, was er tun sollte: Selbstmord; Geständnis; Schweigen, gefolgt von einem der Buße gewidmeten Leben; Schweigen, gefolgt von Rache an –
An wem? An wem sollte er sich rächen? Diese Frage brachte ihn wieder zurück zu dem Gedanken an Selbstmord. An wem sollte er sich rächen, wenn nicht an sich
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