Verbrechen ist Vertrauenssache
oder einen Besitzer anzeigte, der das Haus nicht verließ. Als er den richtigen gefunden hatte, ging er leise die Treppe hinauf in den ersten Stock und öffnete die Tür ebenso leise mit einer Kreditkarte.
Er war in einer Küche, klein und altmodisch, seit sicher dreißig Jahren nicht mehr renoviert. Es gab nur sehr wenig Licht, gerade genug, um zu sehen, dass alles ordentlich und gepflegt war. Er öffnete den kleinen alten Kühlschrank mit den gerundeten Kanten und stellte fest, dass er nur kleine Mengen enthielt: Milch, Orangensaft, ein paar Eier, winzige Essensreste in Plastikdosen. Hier lebte jemand ganz allein. Gut.
Die Tür des Kühlschranks war nur wenige Sekunden geöffnet gewesen, doch das Licht der Innenbeleuchtung hatte ihn geblendet, so dass er für einige Sekunden nichts sehen konnte. Geduldig blieb er mitten im Raum stehen und wartete, eine Hand auf die Kühlschranktür gelegt, bis er wieder Umrisse erkennen konnte. Dann ging er weiter, in die tiefere Dunkelheit der Türöffnung am anderen Ende der Küche.
Hier konnte er gar nichts mehr sehen. Ganz langsam und so leise wie möglich schlich er voran, die Arme seitwärts und nach vorn ausgestreckt. Er befand sich in einem kurzen Flur mit zwei geschlossenen, einander gegenüberliegenden Türen in der Mitte. Etwas weiter stieß sein tastender rechter Fuß gegen eine Türschwelle. Er hielt inne, strich mit der Hand über den Rahmen und das Holz der geschlossenen Tür und fand den alten, facettierten Glasknauf. Er drehte ihn so langsam und vorsichtig, als wäre es der Griff eines Safes im Hinterzimmer eines Ladens, in dem noch Kundenbetrieb herrschte, und als er das leise Klicken hörte, schob er die Tür langsam auf.
Licht, schwaches, diffuses graues Licht fiel durch zwei rechteckige Fenster. Dies war das kleine Wohnzimmer, das auf die Straße ging. Liss trat durch die Türöffnung, wobei er den Knauf festhielt, und griff mit der anderen Hand nach dem Knauf auf der Innenseite. Er hielt ihn fest, während er lautlos die Tür schloss, und sah sich um.
Ein spärlich möbliertes Wohnzimmer. Zwei durchgesessene Sessel, an jedem Fenster einer. Ein kleiner Fernseher auf einem niedrigen Holzkasten. Ein paar Beistelltische und Lampen. Eine Wand war ganz leer – dort hatte sicher ein Sofa gestanden.
Liss ging durch den Raum und sah zu einem der Fenster hinaus, gerade rechtzeitig, um einen Wagen von der Straße auf den Parkplatz gegenüber einbiegen zu sehen. Brenda? Nein, es war nicht der Kombi. Liss setzte sich auf die Armlehne des Sessels hinter ihm und beobachtete den Wagen mit zusammengekniffenen Augen. Wer saß darin? Was wollten die hier?
Der Wagen fuhr langsam auf dem Parkplatz herum, und Liss zuckte beinahe zusammen, als er neben dem Container hielt. Zwei Leute stiegen aus und machten sich an dem Container zu schaffen. Das gefiel ihm nicht – er wollte nicht, dass irgend jemand in die Nähe seines Geldes kam. Das ist mein Geld, dachte er. Haut ab.
»Wer ist da?«
Liss erhob sich automatisch. Es war die Stimme eines alten Mannes, und sie klang verdrießlich. So lautlos wie eine Katze verschwand Liss vom Fenster.
»Wer ist da? Ich hab doch was gehört!«
Liss schlich an der leeren Wand entlang und zur Tür, so dass er hinter ihr stand, wenn sie geöffnet wurde.
»Kommen Sie raus! Ich hab eine Pistole!«
Ach, tatsächlich? dachte Liss. Gut – ich brauche nämlich eine.
Der Türknauf knarzte. »Ich warne Sie! Ich komme jetzt rein!«
Jetzt mach schon und bring’s hinter dich, dachte Liss.
Die Tür ging auf. Liss drückte sich in den Winkel und hielt den Blick auf das graue Rechteck des Fensters neben der dunklen, senkrechten Türkante gerichtet. Als dort eine Gestalt erschien, schlug Liss mit der Handkante zu und traf den Mann zwischen Hals und Schulter. Der Mann schrie auf, und Liss sprang hinter der Tür hervor, schlug auf die schemenhafte Gestalt ein und traf dreimal, bevor sie zu Boden ging.
Lichtschalter. Müsste neben der Tür sein, auf derselben Seite wie der Türknauf. Ja. Liss schaltete das Licht ein. Eine Deckenlampe leuchtete auf, deren Glühbirne diskret hinter einer runden rosaroten Glasschale verborgen war.
Der reglose alte Mann auf dem Boden blutete leicht aus Mund und Nase. Er trug einen grauen Pyjama, einen dicken rotbraunen Bademantel und dunkelblaue Pantoffeln. Liss drehte ihn auf den Rücken, tastete ihn ab und suchte auf dem Boden ringsum. Keine Pistole. Der alte Saftsack hatte gelogen.
Liss schaltete das Licht aus und
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