Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier)
Umstände erzählt ... Seien Sie überzeugt, daß er von Ihnen mit Begeisterung und Achtung gesprochen hat. Von jenem Abend an, an dem ich erfuhr, wie er an Ihnen allen hing und wie sehr er besonders Sie, Katerina Iwanowna, trotz seiner unglücklichen Schwäche, achtete und liebte, von jenem Abend an waren wir Freunde geworden ... Erlauben Sie mir jetzt, Ihnen behilflich zu sein ... meinem verstorbenen Freunde die letzte Ehre zu erweisen. Hier sind ... ich glaube, zwanzig Rubel, – und wenn Ihnen mit diesem Gelde geholfen ist, so ... werde ich ... mit einem Wort, ich werde noch vorbeikommen, – ich werde ganz bestimmt vorbeikommen ... vielleicht schon morgen ... Leben Sie wohl ...«
Er ging schnell aus dem Zimmer und drängte sich durch die Menge auf die Treppe; doch hier stieß er plötzlich mit Nikodim Fomitsch zusammen, der vom Unfall gehört hatte und hergekommen war, um persönlich nach dem Rechten zu sehen. Seit dem Vorfall im Polizeibureau hatten sie sich nicht mehr gesehen, aber Nikodim Fomitsch erkannte ihn sofort.
»Ach, sind Sie es?« fragte er ihn.
»Er ist tot«, erwiderte Raskolnikow. »Der Arzt war da, auch der Geistliche war da, alles ist in Ordnung. Ersparen Sie der armen Frau die Aufregung, sie ist ohnehin schwindsüchtig. Sprechen Sie ihr Mut zu, wenn Sie es können ... Sie sind ja ein guter Mensch, ich weiß es ...« fügte er mit einem Lächeln hinzu, ihm gerade in die Augen blickend.
»Wie Sie sich mit Blut beschmiert haben«, bemerkte Nikodim Fomitsch, als er beim Lichte der Laterne einige frische Flecke auf Raskolnikows Weste erblickte.
»Ja, ich habe mich beschmiert ... ich bin ganz mit Blut bedeckt!« sagte Raskolnikow mit einem eigentümlichen Ausdruck. Dann lächelte er, nickte und ging die Treppe hinunter.
Er stieg langsam hinunter, ohne Übereilung, im Fieber zitternd, doch ohne sich dessen bewußt zu sein, von einem einzigen, neuen, unfaßbaren Gefühl des ihn plötzlich überströmenden vollen und mächtigen Lebens erfüllt. Diese Empfindung mochte der eines zum Tode Verurteilten gleichen, dem man unerwartet die Begnadigung mitteilt. Auf der halben Treppe holte ihn der Geistliche ein, der nach Hause eilte; Raskolnikow gab ihm schweigend den Vortritt und wechselte mit ihm einen stummen Gruß. Als er aber die letzten Stufen hinunterging, hörte er hinter sich eilige Schritte, jemand lief ihm nach. Es war Polenjka; sie lief ihm nach und rief:
»Hören Sie mal! Hören Sie mal!«
Er wandte sich zu ihr um. Sie lief die letzte Treppe hinunter und blieb dicht vor ihm, eine Stufe über ihm stehen. Ein trübes Licht drang vom Hofe herein. Raskolnikow erkannte das magere, doch liebliche Gesichtchen der Kleinen, die ihm zulächelte und ihn kindlich und heiter ansah. Sie kam mit einem Auftrage gelaufen, der ihr anscheinend selbst gut gefiel.
»Hören Sie mal, wie heißen Sie? Und noch: wo wohnen Sie?« fragte sie hastig mit erstickendem Stimmchen.
Er legte ihr beide Hände auf die Schultern und blickte sie mit einem eigentümlichen beseligenden Gefühl an. Es war ihm so angenehm, sie anzusehen, er wußte selbst nicht warum.
»Wer hat Sie geschickt?«
»Mich hat Schwesterchen Ssonja geschickt«, antwortete das Kind noch freudiger lächelnd.
»Das wußte ich, daß Schwesterchen Ssonja Sie geschickt hat.«
»Auch die Mama hat mich geschickt. Als Schwesterchen Ssonja mich schickte, kam auch die Mama heran und sagte: ›Lauf schneller hin, Polenjka!‹«
»Lieben Sie das Schwesterchen Ssonja?«
»Ich liebe sie mehr als alle!« antwortete Polenjka mit einer eigentümlichen Sicherheit, und ihr Lächeln wurde plötzlich ernster.
»Werden Sie auch mich lieben?«
Statt einer Antwort näherte sich ihm das Gesicht der Kleinen, und die weichen Lippen spitzten sich zu einem Kusse. Plötzlich umschlangen ihn fest die wie Streichhölzer dünnen Ärmchen, das Köpfchen legte sich auf seine Schulter, und das kleine Mädchen fing leise zu weinen an, das Gesicht immer fester und fester an das seinige schmiegend.
»Papa tut mir so leid!« sagte sie nach einer Weile, ihr verweintes Gesichtchen hebend und sich mit den Händen die Tränen abwischend. »Jetzt haben wir immer Unglück«, fügte sie unerwartet hinzu, mit jenem wichtigen Ausdruck, den die Kinder mit großer Mühe annehmen, wenn sie plötzlich wie »die Großen« sprechen wollen.
»Und hat auch Papa Sie geliebt?«
»Er hat Lidotschka mehr als uns alle geliebt«, fuhr sie sehr ernst und ohne zu lächeln fort, ganz wie Erwachsene zu
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