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Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier)

Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier)

Titel: Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michajlowitsch Dostojewskij
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sprechen pflegen. »Er hat sie darum geliebt, weil sie so klein ist und auch weil sie krank ist, und hat ihr immer Geschenke mitgebracht, uns aber hat er im Lesen unterrichtet und mich in der Grammatik und Religion«, fügte sie stolz hinzu. »Mamachen sagte nichts, aber wir wußten, daß sie es gerne sah, auch Papachen wußte es. Mamachen will mich aber Französisch lehren, weil es für mich Zeit ist, eine Erziehung zu bekommen.«
    »Können Sie auch beten?«
    »O gewiß können wir es! Schon lange; ich bete, da ich schon groß bin, leise für mich, aber Kolja und Lidotschka beten laut mit der Mama; zuerst sprechen sie das Gebet an die Mutter Gottes, dann das Gebet: ›Gott, vergib dem Schwesterchen Ssonja und segne es‹, und dann: ›Gott, verzeihe unserem anderen Papa und segne ihn‹, denn unser älterer Papa ist schon tot, und dieser ist unser zweiter Papa, aber wir beten auch für ihn.«
    »Polenjka, ich heiße Rodion; beten Sie mal auch für mich: ›für den Knecht Gottes Rodion‹ – und sonst nichts.«
    »Mein ganzes künftiges Leben werde ich für Sie beten«, sagte das Mädchen mit Feuereifer. Plötzlich lachte es wieder, stürzte auf ihn zu und umarmte ihn sehr fest.
    Raskolnikow nannte ihr seinen Namen, gab auch die Adresse an und versprach, morgen unbedingt zu kommen. Das Kind ging ganz entzückt von ihm. Es war die elfte Stunde, als er auf die Straße trat. Nach fünf Minuten stand er auf der Brücke, genau an der gleichen Stelle, von der sich vorhin die Frau ins Wasser gestürzt hatte.
    »Genug!« sagte er entschlossen und feierlich: »Fort mit den Trugbildern, fort mit den vermeintlichen Schrecken, fort mit den Gespenstern! ... Es gibt ein Leben! Habe ich denn eben nicht gelebt? Mein Leben ist noch nicht mit der alten Wucherin gestorben! Gott gebe ihr ewige Ruhe, – genug, Mütterchen, es ist Zeit für dich auszuruhen! Das Reich der Vernunft und des Lichts bricht jetzt an ... und des Willens, und der Kraft ... und wir wollen sehen! Wir wollen uns jetzt messen!« fügte er herausfordernd hinzu, als wende er sich an eine dunkle Gewalt und fordere sie heraus. »Und ich war schon bereit, auf einem Arschin freien Raumes zu leben! ...«
    »... Schwach war ich in diesem Augenblick, aber ... aber ich glaube, die Krankheit ist schon vorüber. Ich wußte ja, daß sie vergehen wird, als ich vorhin von zu Hause wegging. Übrigens: das Haus Potschinkow ist ja nur zwei Schritte von hier ... soll er die Wette gewinnen! ... Soll er das Vergnügen haben, ich gönne es ihm! ... Kraft, ich brauche Kraft: ohne Kraft kann ich nichts erreichen; die Kraft kann man sich aber nur durch Kraft erwerben, das ist es, was sie nicht wissen«, fügte er stolz und selbstbewußt hinzu und ging, mühevoll die Beine bewegend, von der Brücke. Sein Stolz und sein Selbstvertrauen wuchsen von Minute zu Minute; schon in der nächsten Minute war er ein anderer Mensch als in der vorhergehenden. Was hatte er aber so Außergewöhnliches erlebt, das ihn so verändert hatte? Das wußte er auch selbst nicht; wie einem Ertrinkenden, der nach einem Strohhalm greift, kam es ihm plötzlich vor, daß er »noch leben könne, daß es noch ein Leben gäbe, daß sein Leben nicht zugleich mit der alten Wucherin gestorben sei«. Vielleicht war diese Schlußfolgerung etwas voreilig, aber er dachte nicht daran.
    »Ich bat sie aber, den Knecht Gottes Rodion im Gebete zu erwähnen«, ging es ihm plötzlich durch den Kopf. »Nun, dies für jeden Fall!« fügte er hinzu und mußte schon selbst über diesen kindlichen Einfall lachen. Er war in einer ausgezeichneten Laune.
    Er fand Rasumichin ohne jede Mühe; im Hause Potschinkows war der neue Mieter schon bekannt, und der Hausknecht zeigte ihm sofort den Weg. Schon auf der halben Treppe konnte man den Lärm und die lebhaften Gespräche einer großen Versammlung hören. Die Tür zur Treppe stand weit offen; man hörte Schreie und Streit. Rasumichins Zimmer war recht groß, die Versammlung bestand aber aus etwa fünfzehn Menschen. Raskolnikow blieb im Flur stehen. Hier, hinter einem Bretterverschlag machten sich zwei Mägde der Wirtsleute mit zwei großen Samowars zu schaffen; Flaschen, Teller und Platten mit Pasteten und Imbiß waren aus der Küche der Wirtsleute hergeschafft. Raskolnikow ließ Rasumichin zu sich herausrufen. Jener kam entzückt herbeigelaufen. Man konnte ihm auf den ersten Blick ansehen, daß er ungewöhnlich viel getrunken hatte, und obwohl Rasumichin sich nie richtig betrinken konnte, war es

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