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Verbrechen und Strafe

Verbrechen und Strafe

Titel: Verbrechen und Strafe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michajlowitsch Dostojewskij
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Raskolnikow nur zwei Wege vor sich habe: entweder Sibirien oder ... Außerdem kannte sie seinen Ehrgeiz, seinen Hochmut, seine Eigenliebe und seinen Unglauben.
    – Können denn der Kleinmut und die Furcht vor dem Tode allein ihn zwingen, zu leben? – dachte sie schließlich in Verzweiflung.
    Die Sonne ging indessen unter. Ssonja stand traurig am Fenster und blickte unverwandt hinaus – aber sie konnte bloß die ungetünchte Grundmauer des Nachbarhauses sehen. Endlich, als sie vom Tode des Unglücklichen völlig überzeugt war, – trat er in ihr Zimmer.
    Ein freudiger Schrei entrang sich ihrer Brust. Als sie aber sein Gesicht aufmerksam ansah, erbleichte sie plötzlich.
    »Na, ja!« sagte Raskolnikow mit spöttischem Lächeln. »Ich komme, um mir dein Kreuz zu holen, Ssonja; du hast mich doch selbst auf den Kreuzweg geschickt. Wie ist es nun: wo es zu handeln gilt, bist du bange geworden?«
    Ssonja sah ihn erstaunt an. So sonderbar erschien ihr dieser Ton; ein kaltes Frösteln lief über ihren Körper, aber schon nach einer Minute hatte sie erraten, daß dieser Ton und diese Worte gekünstelt waren. Als er mit ihr sprach, sah er auch in eine Ecke, als vermeide er, ihr ins Gesicht zu blicken.
    »Siehst du, Ssonja, ich habe eingesehen, daß es so vielleicht besser sein wird. Es gibt einen Umstand ... Na ja, es ist lang zu erzählen und hat auch keinen Sinn. Weißt du, was mich bloß ärgert? Es ärgert mich, daß alle diese dummen tierischen Fratzen mich gleich umringen und anglotzen, mir ihre dummen Fragen vorlegen werden, die man beantworten muß, daß sie mit Fingern auf mich zeigen werden ... Pfui! Weißt du, ich will nicht zu Porfirij gehen; ich habe ihn satt. Ich gehe lieber zu meinem Freund Pulver, der wird sich wundern, bei dem werde ich einen gewissen Effekt machen. Ich muß aber kaltblütiger sein; viel zu viel Galle hat sich in mir in der letzten Zeit angesammelt. Glaubst du mir, ich habe soeben meiner Schwester fast mit der Faust gedroht, bloß weil sie sich umwandte, um mich zum letzten Male zu sehen. So ein Zustand ist eine Schweinerei! Ach, wie weit ist es mit mir gekommen! Nun, wo ist denn das Kreuz?«
    Er war wie ausgewechselt. Er konnte nicht einen Augenblick ruhig stehen, konnte seine Aufmerksamkeit auf keinen Gegenstand konzentrieren; seine Gedanken sprangen übereinander, er redete irre; seine Hände zitterten leicht.
    Ssonja nahm schweigend aus der Schublade zwei Kreuze, eines aus Zypressenholz und eines aus Messing, bekreuzigte sich, bekreuzigte auch ihn und hängte ihm das Kreuz aus Zypressenholz um den Hals.
    »Das ist also ein Symbol dessen, daß ich ein Kreuz auf mich nehme, he-he! Als ob ich bisher wenig gelitten hätte! Ein Kreuz aus Zypressenholz, also wie es das einfache Volk trägt; das aus Messing, das Kreuz Lisawetas nimmst du dir; zeig es mir! So hat sie es ... in jenem Augenblick umgehabt? Ich kenne zwei ähnliche Kreuze, ein silbernes und ein kleines Heiligenbild. Ich habe sie damals der Alten auf die Brust geworfen. Diese Kreuze sollte ich mir jetzt umhängen, wirklich ... Übrigens schwatze ich immer Unsinn; so vergesse ich die Hauptsache, ich bin so zerstreut! ... Siehst du, Ssonja, ich bin eigentlich gekommen, um es dir vorher zu sagen, damit du es weißt ... Nun, das ist alles ... Ich bin ja nur deswegen hergekommen. (Hm! Ich hatte übrigens geglaubt, daß ich mehr sagen würde.) Du wolltest doch selbst, daß ich hingehe; nun werde ich im Gefängnis sitzen, und dein Wunsch wird in Erfüllung gehen; was weinst du denn? Auch du weinst? Hör auf, genug; ach, wie schwer ist mir das alles!«
    Aber in ihm regte sich Mitgefühl; sein Herz krampfte sich bei ihrem Anblick zusammen. – Was hat sie bloß? dachte er. – Was bin ich ihr? Warum weint sie, warum verabschiedet sie sich von mir wie meine Mutter oder wie Dunja? Sie wird meine Wärterin sein! –
    »Bekreuzige dich, bete wenigstens einmal!« bat Ssonja mit zitternder, scheuer Stimme.
    »Oh, gerne, soviel du willst! Und mit reinem Herzen, Ssonja, mit reinem Herzen ...«
    Er wollte ihr übrigens etwas ganz anderes sagen.
    Er bekreuzigte sich einige Male, Ssonja nahm ihr Tuch und warf es sich über den Kopf. Es war ein grünes Drap-de-dames-Tuch, wahrscheinlich dasselbe, von dem Marmeladow gesprochen hatte, das »Familientuch«. Raskolnikow kam sogar dieser Gedanke, aber er fragte nicht. Er begann tatsächlich selbst zu fühlen, daß er furchtbar zerstreut und voll häßlicher Unruhe war. Er erschrak darüber. Er war plötzlich

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