Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verbrecher und Versager.

Verbrecher und Versager.

Titel: Verbrecher und Versager. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Hoppe
Vom Netzwerk:
Wirtshaus, wer ausgeht, geht mit gespannter Pistole und schießt damit umstandslos jeden tot, der draußen keine Laterne trägt.
    Niemand trägt hier draußen Laternen, Kapf ficht sich unter der Dunkelheit weg, der hat richtigen Sinn für den ganz großen Auftritt. Ein Liebhabertheater hat er gegründet, wo er abends die Bühne zum Schlachtfeld macht und die Vorhänge lässig in Stücke teilt, bevor die letzte Szene beginnt. Ein kleiner Junge betritt die Bühne, in der Hand die Laterne, auf dem Kopf einen Apfel, der Schatten auf die Kulisse wirft. Sie glauben, es gibt hier gar keine Äpfel? Liebe Frau Vischer. Da täuschen sie sich, alles gerät plötzlich in Bewegung, Hasen und Krüppel und lahme Hunde, das ganze traurige Kapregiment. Jede Nacht wird gezielt und geschossen, während unten im düsteren Zuschauerraum die Damen leise zu seufzen beginnen und die Herren flüsternd Wetten abschließen, sie wissen genau, wie man sticht und verliert. Der eine setzt auf den rollenden Apfel, der andere auf das stürzende Kind. Hundert Mal ist der Apfel gerollt, und so oft ist der Junge ins Knie gegangen, bis man ihn hinter die Bühne trägt und anstandslos durch einen neuen ersetzt. Die Gäste geben fröhlich Applaus, dann gehen alle singend nach Hause, als Deutsche brav und gut, und sagen soll man weit und breit, die Deutschen sind doch brave Leut, die haben Geist und Mut.
    Wenn Kapf nach Hause kommt, pfeift er mich wach, legt den Kopf auf den Tisch, gleich neben den Apfel, und diktiert mir Briefe, die Nacht für Nacht immer länger werden und in denen immer dasselbe steht, Verse von Schubart und Grüße an Schiller, wie Leid es ihm um die Vorhänge tut, dass er den Glauben nach Übersee bringt und wie erfolgreich er seine Geschäfte betreibt. Nicht lange, schreibt er, dann schicke ich Geld, richtiges Geld, das sich nie wieder auflöst, und jedes Versprechen schließt mit dem Satz: Ich habe mehr Glück, als ich verdiene.
    Doch der Lärm nebenan ist so laut geworden, dass aus Übersee nichts mehr nach Hause dringt, kein Geld, kein Glück, keine Zeile von Kapf. In Frankreich krönt man längst wieder Kaiser, auf den Meeren herrscht Krieg, es wird eng in den Wellen, und sobald man feindliche Schiffe sieht, werden die Briefe ins Meer geworfen. Nur Totenscheine erreichen ihr Ziel, weil der Herzog für jeden toten Soldaten alles kassiert, was übrig ist. Totensold, Knöpfe und Schulterklappen, für Frauen und Kinder bleibt nichts.
    Das Geld löst sich auf in jede Richtung wie die ganze
    Geschichte des Kapregiments, kein Pfennig erreicht deine zehn Geschwister, nicht einmal dein Winken, dein Taschentuch. Weißt du denn überhaupt, wer du bist? Der Sohn deines Vaters oder der deiner Mutter, die neulich im Bopserwald verschwand und froh ist, dass du in Afrika hockst, wo du langsam gelb wirst unter der Sonne und wartest, bis endlich die Engländer kommen, damit ihr wieder ums Kap würfeln könnt.
    Man redet hier viel und weiß ziemlich -wenig. Die einen sagen, die Männer sind tot, die anderen sagen, nur fahnenflüchtig, womöglich einfach nur übergelaufen, man kann den Freund nicht vom Feind unterscheiden, zu viel Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Die dritten sagen, man hat sie verschifft, nach Indien oder noch weiter nach Osten, womöglich sogar nach Batavia, Kirchhof der Deutschen in Übersee, wo es alles gibt, nur keine Gesundheit, von dort, wie man weiß, kehrt keiner zurück. Ein paar andere, hört man, kamen bis China, als Leibwächter eines indi- schen Rats, und haben dort vor dem Sohn des Himmels das Lied von Schubart zum Vortrag gebracht, aufauf Ihr Brü- der und seid stark! Dem Kaiser, hört man, hat es gefallen, was aus den Männern wurde, ist nicht bekannt, womöglich singen sie immer noch. Und andere sind noch viel weiter gegangen, Kopf in den Becher und stur geradeaus, die Heimat ist überall gleich um die Ecke, nur noch zwei Schritte, dann bist du zuhause.
    Doch es gibt keine Heimat und auch keine Karten, die Hitze löscht alles aus in den Köpfen, Geographie und Erinnerung. Und so sind sie wohl Sammler und Jäger geworden, die Krokodile und Tiger erlegen, bis sie die Mücke zur Strecke bringt. Wen die Mücke verschont, der ersticht sich selbst oder taumelt betrunken nachts durch die Straßen, bis er faselnd in einen Graben fällt. Steht einer von ihnen doch wieder auf, wird er ganz langsam vom Heimweh zerfressen, erst die Uniform, dann das Herz, dann der Kopf, vermutlich der mühsamste Tod von allen.
    Nachts

Weitere Kostenlose Bücher