Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verbrecher und Versager.

Verbrecher und Versager.

Titel: Verbrecher und Versager. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Hoppe
Vom Netzwerk:
jetzt nicht zum Aufbruch entschließe, verliere ich ihn aus den Augen. Sein Schritt ist zu groß und zu schnell für mich, jetzt ist er wirklich ein Flüchtling geworden, Arzt aus Not, wider Willen. Als Gesundheitsoffizier dient er im preußischen Heer, doch an Weihnachten wird er entdeckt und verhaftet, das Geschenk, fest verpackt, lautet, zehn Jahre Festung.
    Festung Ehrenbreitstein bei Koblenz. Schöne Landschaft, doch Landschaft ist Landschaft, Junghuhn sucht die Natur, und von innen her lässt sich Natur nicht begreifen, so wie sich niemals begreifen lässt, was man nicht selbst in den Händen hält. Ich dagegen hätte mich eingerichtet, im Gefängnis wie auf meinem Balkon, bei Wasser und Brot auf volle zehn Jahre. Dreimal am Tag ein Gespräch mit dem Wächter und kurz vor dem Schlafen die Zigarette, das Gesicht an die Steine der Mauer geschmiegt. Mit dem Opernglas hätte ich Schiffe gesichtet und auf das Geheimnis des Rheins geglotzt, auf die kleinlich behüteten Schätze der Heimat, auf das, was ich für die Grenze halte zwischen dem, was man Deutschland und Frankreich nennt.
    Aber was sind schon Grenzen! Aufstehn und Gehn ist das Lieblingsspiel, das Junghuhn und ich schon seit Jahren spielen und das immer einer von uns verliert. Zur Strafe werde ich niemals erfahren, wie er es wirklich angestellt hat, bei Nacht oder Nebel von dort zu entkommen. Ob er die Wächter bestochen hat? Mit Geld, mit Wein, mit kleinen Zigarren, deren Rauch immer freundlich himmelwärts geht? Vielleicht hat er auch nur Rapunzel gespielt, ist durch das kleine Fenster gestiegen und hat sich, unrasiert wie er ist, am eigenen Barthaar heruntergelassen, hat den Irren gemimt, sinnlos Arme und Beine geschwenkt, nur um wieder unterwegs zu sein. Denn er spricht nicht und lässt mich im Dunkeln zurück. Er nimmt mich nicht mit auf die Wanderung, zu Fuß von Koblenz über die belgische Grenze und von dort aus weiter nach Frankreich, denn in Frankreich steht die Fremdenlegion und belädt in Toulon ihre Schiffe.
    Doch wer steigt schon auf Schiffe? Schwimmende Herbergen für alle, die der Heimat für immer entkommen wollen. Verbrecher und Versager, Duellanten und Selbstmörder, die Fremdenlegion nimmt sie alle. Und wer seinen Namen vergessen hat, wählt aus der endlosen Fülle von Namen unbeschwert einen anderen aus, der ihm in Zukunft am besten gefällt. Seit Jahren träume ich von Nachricht aus Algier, zur Not ein Brief, vielleicht ein Gedicht, beigelegt ein verlorener Finger, eine Strähne mit Schweiß auf Papier geklebt, eine Karte, die Männer in Helmen zeigt, ein er- legtes Tier, die gewonnene Schlacht. Aber ich habe längst begriffen, es kommt dort nicht auf Geschichten an, sondern einzig auf Flucht, auf das Werfen der Arme nach links und nach rechts, darauf, Absätze tief in die Stiefel zu schlagen und das linke Bein so geschickt nachzuziehen, dass man für unverwundbar gilt.
    Glühendes Afrika, Land der Geschichten. Junghuhn hasst seine Arbeit, die stickigen Zelte, die Wunden, die Gesichter, die er versorgt. Er ist kein Arzt und kein Legionär, kein Mann für Pulsschlag, Verbände und Zuspruch, er hat keinen Sinn für den sinnlosen Krieg. Hitze erträgt er nur in eigener Mission, sein Ehrgeiz bleibt auf die Pflanzen gerichtet, und so kehrt er geschlagen nach Frankreich zurück.

    Süßes Paris! Ein Brief, ein Gedicht, ein verlorener Handschuh, verträgliches Klima, ein Sonnenschirm, eine Geste aus Glas. Die Ahnung eines Verhältnisses unter den Menschen! Aber Junghuhn hat nichts in Paris zu suchen, selbst mit Geld ist er kein Mann für Cafés. Er will ein Fliegender Holländer werden, ein Mastbaum, der nicht verbrennen kann. Er will in die Tropen, Insulinde erforschen, das tüchtig zusammengestohlene Reich, ein Paradies der Schiffer und Händler und eine Hölle für den, der nicht weiß, was das Leben in den Tropen bedeutet, Hitze und einen javanischen Krieg.
    Doch die Hitze der Tropen kann ihn nicht schrecken, und der Krieg, den er kennt, kümmert ihn wenig. Er führt seinen eigenen Krieg. Um der Sache den passenden Vorwand zu geben, wird er zum zweiten Mal Arzt. Er geht nach Leiden, besteht das Examen, ein Militärarzt der Klasse drei. Doch bevor er wieder ein Schiff besteigt, um zum dritten Mal ein Flüchtling zu werden, hat ihn die Heimat längst begnadigt, in Abwesenheit, schon in Afrika. Undeutlich, wer ihn begnadigt hat, wir haben darüber nie gesprochen, auch was ich weiß, ist nur ausgedacht. Die einen sagen, es war der König,

Weitere Kostenlose Bücher