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Verbrecher und Versager.

Verbrecher und Versager.

Titel: Verbrecher und Versager. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Hoppe
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Eintrittskarte zur Ewigkeit, die so lange und heftig erwartete Taufe für den, der ein ehrlicher Jünger ist und die endlich und deutlich den Schlussstrich zieht unter alles, was einmal gewesen ist, unter sämtliche Thesen der Heimat. Hast du nicht längst die Natur vermessen, selbst den Ozean hast du von unten gesehen, du bist durch den Schlamm der Vulkane gestiefelt, was also hält dich zurück? Zieh endlich dein Schullineal aus dem Wappen, und schmiede es um in Angriff und Schild.
    Denn Gott sitzt weder oben noch unten, sondern gleich
    nebenan, im Blumenkasten auf meinem Balkon, zusammen mit Goethe im Stängel der Pflanze, gleich neben Humboldt im dritten Blatt, in der Blume, im Baum, im Licht wie im Schatten, im Regentropfen, im Schlamm wie im Wurm, neunzig Thesen im Kopf von Schwoerer, eine kleine, schlecht beleuchtete Kugel, der Mond gegenüber von meinem Balkon. Ein landloser Gott aus Übersee, der vom vielen Erschaffen und Benennen inzwischen so müde geworden ist, dass er gern und gefällig zur Seite tritt, um endlich den Menschen den Weg frei zu machen, damit sie die Dinge jetzt selber benennen und nachher die Dinge nach sich, damit es nicht zu Verwechslungen kommt.
    Es werden beschauliche Tage werden, wir werden durch große Gärten gehen, die man später stolz die Botanischen nennt. Wir werden uns bei den Händen halten, das heißt, nicht wirklich direkt bei den Händen, weil zwischen uns ja das Kind gehen muss, dem man immer wieder von vorn erst die Welt und danach seinen Vater glaubhaft macht, indem man bei allen Pflanzen verharrt, die freundlich im Schatten des nächstens Baumes von Menschenhand angebracht Schilder tragen, auf denen gut lesbar für Erben steht: FESTUCA NUBILA JUNGHUNIENSIS oder, nur we- nige Schritte weiter: DACRYDUUM JUNGHUHN II.
    Ich habe mir diese Namen gemerkt, weil die Namen der Pflanzen das Einzige sind, was sie mir wirklich begreiflich macht. Und falls das Kind einen Einwand hat, womög- lich laut lacht und dich weiterzieht, unter den Schatten des nächstens Baumes, um dort unberufen im Erdreich zu graben, dann nimms bei der Hand und sprich laut und deutlich, das hier, mein Kind, ist Unkraut, nichts weiter. Denn ich persönlich glaube an Unkraut und Gott, während Junghuhn längst selbst eine Pflanze ist. Aber ich mache ihn deshalb nicht lächerlich. Nur die Koffer sind viel zu schwer, ich fürchte, er wird den Rückweg nicht schaffen. Denn sicher ist, dass er kein Schiff besteigt, Kapitän und Mannschaft erträgt er nicht, also macht er sich zu Fuß auf den Weg. Als wüsste ich nicht, was es bedeutet, sich zu Fuß auf den Weg übers Meer zu machen, das große Absichten lächerlich macht und die Anstrengung der Menschen und Körper verhöhnt.
    Natürlich ist er zu Fuß gegangen. Wie lange es dauerte, weiß ich nicht mehr, denn ich habe auf meinem Balkon gesessen, habe Briefe und Karten und Zettel sortiert, Humboldt und Schwoerer und Goethe bewirtet, wovon mir sehr wenig geblieben ist. Die Erinnerung an ein großes Murmeln, während ich in der Küche stehe, Tee koche und im Kopf Bücher schreibe.

    Aber das alles spielt längst keine Rolle mehr, mein Tisch ist gedeckt für den einzigen Gast, auf den es in dieser Geschichte ankommt. Franz Wilhelm Junghuhn, geboren in Mansfeld, kehrt tatsächlich nach Leiden zurück. Kurzfristig beschließt er, gesund zu werden, er möchte endlich ein Holländer sein, tauscht entschlossen Ringe mit Fräulein Koch, zeugt entschlossen den Sohn und schüttelt entschlossen Humboldt die Hand und glaubt, er genießt jetzt Gesellschaft und Ehre.
    Und er schreibt. Füllt Seite um Seite, Band um Band, damit nicht das Kleinste verloren geht aus seinem Rucksack der Insulinde, und alles auf Niederländisch verfasst. Doch keineswegs jeder liebt ihn dafür, denn nicht jedem ist die Natur ein Gott und nicht jedem ist sein Gott die Natur, weshalb Junghuhn, weil es der Papst so will, deutlich und schriftlich erklären muss, dass auch der Blick durch das Teleskop uns immer wieder nichts anderes zeigt als immer wieder denselben Gott, wenn vielleicht auch gelegentlich etwas vergrößert.
    Ich dagegen blicke nicht mehr nach oben, sondern scharf geradeaus. Durch mein Glas, und ich sehe, was ich schon weiß, denn obwohl ich nicht viel von den Menschen verstehe, erkenne ich manches auf einen Blick. Junghuhn, ich kenne dein Winken genau, halb Begrüßung, halb Abschied, eine Hälfte an Land und eine im Wasser, denn glaubst du, ich hätte nicht längst gemerkt, wie eng die

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