Verbrecher und Versager.
Junghuhn läuft rastlos von Insel zu Insel, hinten den Rucksack, der alles enthält, was die Herrschaft braucht, um das riesige Inselreich zu verwalten. Wege und Ränder auf Linie gebracht, Wälder und Sümpfe begehbar gezeichnet, Wetter und Vulkane vermessen, Sterne geschossen und Tiger gezähmt, mit den Trägern nachts am Feuer gesessen, Blätter zu kleinen Zigarren gerollt. Ihre Sprachen gesprochen, Geschichten belauscht, daraus Lebensart und Gewohnheit erschlossen, Erkenntnisse zu Erkenntnis gebündelt, woraus sich ganz ohne Junghuhns Zutun und Wille ein Handbuch der Strategien ergibt. Denn draußen herrscht Krieg.
Aber Junghuhn führt seinen eigenen Krieg. Sein Wappen zeigt Kompass und Mikroskop, ein Vermessungsritter und Topograph, auf nichts aus als auf den Märtyrertod, ein Mann, den sich jeder zu Diensten wünscht, mit dem nur niemand zu Tisch sitzen will, unrasiert, zugeknöpft, ohne Manieren, ein Wanderer, der nicht tanzen kann. Man bleibt misstrauisch höflich, geizig und neidisch und verwehrt ihm den Zutritt zu jener Gemeinschaft, auf die seine Sehnsucht gerichtet ist. Die heilige Bruderschaft der Natur. Vor den Türen der hohen Kommission, der Gesellschaft für Naturwissenschaften, stehen beamtete Tempelwächter und schütteln den Kopf. Ich erkenne ihre Gesichter sofort, die alte Mischung aus Angst und aus Gier.
Also geht er erneut auf die Wanderschaft, der wilde Mann aus der zweiten Reihe, der nicht taugt für das Parkett seiner Heimat, nicht für Innenräume geschaffen und auch nicht für Teerunden auf meinem Balkon, wo im Schatten von Humboldt und Wolfgang Goethe Briefträger Schwoe- rer mit Pathos und Fleiß alles aus seinem Postbeutel zieht, was an neuer Erkenntnis aus Übersee kommt, während ich in der Küche den Tee zubereite und dem Gemurmel lobender Stimmen lausche. Vielleicht auch nur den gedämpften Geräuschen des freundlichen Verkehrs unter Menschen, denen leicht fällt zu preisen, wen das Meer von uns trennt.
Das Meer hin und her, ich werde nicht warten, ich werde mich nicht auf Schwoerer verlassen, ich kann die Briefe auch selber erfinden, um zu erfahren, was ich längst weiß. Ich sehne mich nach Eis und Schnee!, schreibt Junghuhn, eines Tages nach Jahren und Jahren. Nicht schwer zu begreifen, es hat ihn erwischt, er ist krank. Aber es ist nicht der Schnee und auch nicht das Eis, es sind nicht die Tropen und auch nicht der Koller, es ist auch nicht jener Mangel an Liebe, der Reisende oft und so schrecklich befällt, es ist nur sein Körper. Sein Körper hat ihn im Stich gelassen wie Junghuhn den Körper, auf den er schon immer gepfiffen hat. Womöglich hat er den eisernen Willen mit seinem tapferen Körper verwechselt oder dachte, sie seien ein und derselbe.
Der Körper. Der Kopf ein bewegliches Gedächtnisgefäß, der Rest nichts als ein Sammler und Jäger, ein Hund und ein Träger, ein Zeitsoldat in der glühenden Hitze. Hüter und Haus, Schreiber und Sklave, Zelt gegen Regen und Sonnenschirm, atmender Dreher von kleinen Zigarren, himmelwärts in die Natur vertieft. Sein Körper hat ihn im Stich gelassen, mit dem er, als sei er nur Stiefel und Kopf, zehn Jahre die Tropen bewandert hat, ohne Rücksicht und Sorge, von der Seele des Mannes ganz zu schweigen.
Junghuhn, schreibe ich auf eine Karte, die eher Zettel
als Karte ist und die ich nicht in den Kasten werfe, weil ich Briefträger Schwoerer noch immer nicht traue, der sich, wohl wegen der Kugel im Kopf, auf immer die falschen Seiten schlägt, komm zurück, für ein zwei drei Tage, und lass deinen Rucksack am Ortseingang stehen. Du musst weder nach hier noch nach Mansfeld gehen, am besten, wir treffen uns drüben in Leiden. Dort will ich mich in eine Frau verwandeln und so tun, als wäre ich immer noch jung. Ich könnte mir auch einen Namen geben, Johanna Louisa Frederica Koch, um alte bekannte Gesellschaft zu leisten. Du kannst Bücher schreiben und Klinken polieren, kannst spielen, du hättest jetzt Frau und ein Kind, du wärst jetzt zuhause, und kannst dieses Spiel so lange spielen, bis du endlich bekommst, was man dir schuldet.
Denn einmal, das weiß ich genau, wird sich die Tür zum Vorzimmer öffnen, zur Kommission der Naturwissenschaft, zwei Männer in Uniform treten heraus und sagen, jetzt, lieber Junghuhn, wird man Sie hören. Denn auf dem zweiten Zettel steht deutlich und klar, dass die Ehre gehört, wem die Ehre gebührt, ein Platz am Tisch ist noch frei. Und vergiss nicht, es gibt auch den dritten Zettel, diese
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