Verbrecher und Versager.
kommt selber ungeschoren davon? Und wer entschlossen das Kindheitsspiel in den Krater wirft, hat mit dem Wurf auch den Joker verloren, während draußen auf Java ein heftiger Krieg tobt zwischen denen, die haben, und dem, der sich nimmt.
Junghuhn führt seinen eigenen Krieg. Zwischen hier und zuhause bewirft er die Träger mit Steinen und Wörtern und versucht zu vertuschen, dass er nichts als die alte Rechnung begleicht. Wie sein Vater ihn, so nennt er sie träge, seine lästigen Träger. Störrisch und faul, schläfrig und dumm, unbelehrbar und stur, ohne Begeisterung, Sinn und Verstand, unbeugsam flüchtig und ohne Verständnis für seinen einzigen Gott, die Natur. Er zückt die bekannte Peitsche von früher, diese biegsame Zunge aus Wörtern und Kränkung, die schnalzende, sausende Pflicht. Erinnerung an Aufgaben, die niemand erfüllt, an Ansprüche, die uns erdrücken und immer nur an das eine erinnern, an die schwüle Hitze der preußischen Tropen, deren Klima so ungesund ist, dass man draußen friert und drinnen stark schwitzt. Die bekannte innere Hitze der Heimat, die häusliche Enge, die Körper und Menschen schrumpfen lässt und weder Nachsicht noch Schatten kennt.
Womit ich womöglich übertreibe, weil ich Junghuhn aus dieser großen Entfernung natürlich nicht wirklich erkennen kann. Denn ich habe nichts als ein Fernrohr bei mir, vielleicht nur ein Opernglas, mit dem ich das Drama von weitem studiere. Zaungast und Zuschauer auf dem Balkon, Zuträger auf halber Strecke im Gras, den Kopf wie ein Sommerstudent im Nacken, den Nacken auf einer Mansfelder Kiste und, zwischen den Lippen ins Runde gedreht, Blätter, aus denen der Rauch nach himmelwärts geht. Nur die Koffer sind schwer, wir werden nicht weit damit kommen. Aber er dreht sich nicht um, sondern starrt auf die Straße und sagt, steh auf, nimm den Koffer und geh! Also stehe ich auf, nehme den Koffer und gehe. Als ich zum ersten Mal meinen Balkon von unten sehe und über mir Junghuhn, wie ein Denkmal beleuchtet, der in eine mir unklare Richtung zeigt, vermutlich nach Übersee, begreife ich, dass ich jetzt unterwegs bin. Und wie einfach das Abschiednehmen ist, für den, der etwas zu tragen hat! Das Gewicht seines Koffers verhindert mein Winken, eine Hälfte an Land, die andere im Wasser, die dritte demnächst am Rand eines Kraters. Ich trage seinen Koffer voll Stolz, erst in der rechten Hand, dann in der linken.
Nur wie ich damit nach Mansfeld komme, weiß ich noch nicht. Ich weiß nur, dass ich ihn abstellen werde, sobald ich den Ortseingang passiere, denn der Koffer ist nur eine Eintrittskarte, ich weiß nicht, was er wirklich enthält. Akten, Werkzeuge, Pflanzen, Fotografien oder Karten. Historische Karten, wie ich vermute, denn Junghuhn ist ein Mann aller Fächer. Aber das ist mir egal, auch in Mansfeld herrscht kein Mangel an Trägern, es wimmelt auch dort, wie überall, von arbeitslosen Archivaren, Buchhaltern und Kompilatoren. Vielleicht gibt es sogar einen Studienrat, der mir weismacht, er hätte Junghuhn gekannt, und wenn nicht persönlich, so doch einen Neffen oder wenigstens einen Großcousin, der auch nicht weiß, was ich selber nicht weiß, mich stattdessen freundlich am Ärmel zieht, um mir die kleine Tafel zu zeigen.
Zwei Schritte nach vorn in die Junghuhngasse, und die Tafel ist da. Nur das Haus ist verschwunden, unbesorgt lautlos zusammengefallen. Geblieben auf einem kleinen Sockel ist die hauslose, lachhafte Tafel. Zitat ohne Werk, vergeblich bemüht, Interesse zu wecken. Sein Ruf in der Stadt taugt nur für Klatsch, nicht für die Legende, denn gegen den größeren Sohn dieser Stadt kommt Junghuhn nicht an. In Mansfeld ist Luther zur Schule gegangen, dessen Haus steht so fest wie seit je. Und vollkommen unversehrt lesbar die Worte: HINAUS IN DIE WELT, HINAUS IN DEN KAMPF, HINDURCH ZUM SIEG!
Als wäre dieser Luther gereist, als wäre er durch die Welt gekommen, als hätte er jemals Vulkane bestiegen und wie Junghuhn seinen Gott in der Asche gesucht. Thesenschläger und Prügelknabe, Peitsche aus Kränkung und Rechthaberei, die der Vater jetzt gegen den Sohn schwingen muss, weil der Sohn noch immer nicht Arzt werden will und nicht an den Gott von Mansfeld glaubt, sondern an den Gott auf dem Boden des Kraters. Und anstatt dem Vater die Kugel zu geben, will Junghuhn sich selber das Leben nehmen. Doch ich kenne ihn gut und weiß genau, wie unbegabt er für Selbstmord ist. Unfähig, sich selber zu Leibe zu rücken, bleibt seine Tat
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