Verbrecher und Versager.
Straßen in Leiden sind, wie du immer gegen die Häuser läufst, beim Essen zwischen den Stühlen sitzt, dich nervös in zu kleine Servietten verknotest und mit dem Kopf gegen jede Decke stößt, als wolltest du in den Himmel kommen? Steh auf, nimm den Koffer und geh.
Und Junghuhn steht auf und geht, den Koffer in der Rechten, den Sohn an der Linken, dahinter die Frau, in der Ferne ein Schiff, und ich schwöre, diesmal komme ich mit! Ich habs versprochen und halte mich dran, ich will nicht zum dritten Mal sitzen bleiben, ich brauche zum Gehen nicht einmal den Koffer, auch ohne Koffer weiß ich, wohin. Ich werde für immer die Heimat verlassen, die Küche, den Tee, den Balkon und die Zettel, die Briefe und Karten, den Kompass, das Fernrohr, das Opernglas, mit dem man die Welt nur von weitem betrachtet.
Und indem ich die Treppe hinunterfliege, lasse ich alles hinter mir. Ich habe nicht vor, mich umzudrehen, denn ich muss mich nicht umdrehen, um zu wissen, dass oben auf meinem Balkon immer noch Briefträger Schwoerer steht, ein äußerst schlecht ausgeleuchtetes Denkmal, weil die Nacht meiner Flucht völlig mondlos ist, sodass niemand die Kugel im Kopf erkennt.
Und so bin ich nach Insulinde gekommen, um endlich mit eigenen Augen zu sehen, wie eine Geschichte zu Ende geht. Aber zwischen mir und dem Ende steht plötzlich noch eine andere Geschichte, die man unscharf beleuchtet die Wirklichkeit nennt. Ein Blick und ich werde kunstlos verstummen, denn jetzt, da ich selber am Kraterrand liege, der unberechenbar Feuer und Steine spuckt, verschiebe ich jedes Ende auf später und meine Furcht auf den Morgen danach. Nichts ist, wie es geschrieben steht, von innen her lässt sich Natur nicht begreifen, so wie sich niemals begreifen lässt, was man nicht selbst in den Händen hält und was man nicht selber geschrieben hat. Schwer zu sagen, was mich mehr entsetzt, der glühende Berg, die fliegenden Steine oder die haltlose Tatkraft von Junghuhn, die meine Angst auf unheimliche Weise verdoppelt, weshalb ich ihm zu entwischen versuche, auf halber Strecke im Gras liegen bleibe, das Gesicht in den Schatten des Koffers geschmiegt in der Hoffnung auf Wind, der nicht vorkommt.
Ich im Schatten, er auf meinem Balkon, zwischen uns nichts als das Meer und mein Ehrgeiz, wird keiner von uns den anderen begreifen, und so bleibe ich unter der Asche zurück, die Hände felsenfest auf den Ohren, die Augen geschlossen, mein Körper schon längst kein Körper mehr, nur noch mein flüchtiger Abdruck im Schlamm. Erst am siebten Tag will ich wieder erwachen, wenn Seewind durch die Bananen geht und ich die kühle Morgenluft atme. Hoch in der Luft die Fliegenden Hunde, im Baum nebenan frisch erschaffene Affen, und noch ehe die Sonne den Himmel färbt, erglüht der majestätische Gipfel des Berges in Purpur und Gold! So würde es Junghuhn geschrieben haben, und wenn man im richtigen Winkel liegt und mit geschlossenen Augen liest, ist es vielleicht sogar immer noch wahr.
Die Holländer sind aber praktische Menschen, man zahlt nicht für Schwärmer und Abenteurer, Junghuhn sitzt nicht mehr am Lagerfeuer. Fest steht er im Dienst der Kolonien und soll ein kostbares Erbe verwalten, Diebesgut aus Südamerikas Anden, bei Nacht und Nebel entführt aus Peru, von dort aus über das Meer gebracht. Samen und Setzling der Chinarinde, Versprechen gegen das Mückenfieber, den tückischsten Feind aller Kolonisten. Chinin heißt das Zauberwort. Allem voran ein großes Geschäft, Verheißung von Handel und Gewinn, die so lange gesuchte Wunderwaffe gegen den nutzlosen Tod in den Tropen, der im Wasser der faulen Kanäle gedeiht. Doch ein Großteil der Beute verkommt unterwegs, und der spärliche Rest, der sich retten lässt, geht unter der Hand der Piraten nicht auf.
Jetzt, glaubt man, hat Junghuhns Stunde geschlagen, er soll aufhören, seine Bücher zu füllen mit dem endlosem Reden über Natur. Er soll die Natur endlich nutzbar machen, er soll den richtigen Boden finden, die letzten Setzlinge retten und wässern, den gestohlenen Samen zu Münze machen, damit auch in Java die Chinarinde gedeiht.
Von den Holländern erhält er den passenden Titel, damit er endlich begreift, wer er jetzt ist, Inspektor der staatlichen Chinakultur. Aus dem Wanderer wird ein Plantagenbesitzer, der Prinz der Natur soll ein Bauer werden, der Dichter Verwalter, der Priester ein Züchter, der Schwärmer soll seinen Schwärm kultivieren, der Duellant und Soldat soll Geschäftsmann werden,
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