Verdammnis
zuzurechnen ist.«
»Und Sie meinen, Lisbeth Salander ist eine von diesen Verrückten?«, fragte Hans Faste.
»Die Wortwahl ›Verrückte‹ ist nicht die richtige. Ansonsten: Ja, sie gehört zu der Gruppe Menschen, die von der Gesellschaft im Stich gelassen wurden. Sie ist zweifellos eines dieser kaputten Individuen, die besser nicht auf die Gesellschaft losgelassen werden sollten.«
»Sie meinen, sie hätte eingesperrt werden sollen, bevor sie ein Verbrechen beging?«, fragte Sonja Modig. »Das ist ja wohl nicht ganz mit den Grundsätzen eines Rechtsstaates zu vereinbaren.«
Hans Faste runzelte die Brauen und bedachte sie abermals mit einem gereizten Blick. Sonja wunderte sich, warum Hans Faste die ganze Zeit nur auf sie losging.
»Sie haben völlig recht«, stimmte Teleborian zu und unterstützte damit indirekt ihre Position. »Das lässt sich mit dem Rechtsstaat nicht vereinbaren, zumindest nicht mit dem Rechtsstaat in seiner derzeitigen Form. Es ist ein Balanceakt zwischen dem Respekt vor dem Individuum und dem Respekt vor den potenziellen Opfern, die ein psychisch kranker Mensch eventuell auf seinem Weg zurücklässt. Kein Fall gleicht dem anderen, jeder Patient muss individuell behandelt werden. Selbstverständlich begehen auch wir in der Psychiatrie Fehler und lassen Personen frei, die eben nicht auf der Straße herumlaufen sollten.«
»Wir müssen uns in diesem Zusammenhang vielleicht nicht unbedingt in die Sozialpolitik vertiefen«, unterbrach Bublanski vorsichtig.
»Sie haben völlig recht«, pflichtete Teleborian ihm bei. »Hier handelt es sich um einen ganz speziellen Fall. Lassen Sie mich nur anmerken, wie wichtig es ist, dass Sie Lisbeth Salander als einen kranken Menschen begreifen, der Hilfe benötigt - nicht weniger als ein Patient mit Zahnschmerzen oder einem Herzfehler. Sie hätte gesund werden können, wenn Sie zu dem Zeitpunkt, als sie noch behandelbar war, die Behandlung bekommen hätte, die sie brauchte.«
»Sie waren also ihr Arzt«, stellte Hans Faste fest.
»Ich war einer von vielen, die mit Lisbeth Salander zu tun hatten. In ihrer frühen Teenagerzeit war sie meine Patientin, und ich war einer von den Ärzten, die sie untersuchten, bevor sie mit Erreichen des 18. Lebensjahres unter rechtliche Betreuung gestellt werden konnte.«
»Können Sie uns von ihr erzählen?«, bat Bublanski. »Was könnte sie dazu getrieben haben, nach Enskede zu fahren und zwei Menschen umzubringen, die sie überhaupt nicht kannte, und was könnte sie dazu gebracht haben, ihren Betreuer zu ermorden?«
Peter Teleborian lachte.
»Nein, das kann ich Ihnen nicht erzählen. Ich habe ihre Entwicklung in den letzten Jahren nicht verfolgen können, und ich weiß nicht, was für einen Grad ihre Psychose mittlerweile erreicht hat. Ich bezweifle aber, dass sie das Paar in Enskede nicht gekannt hat.«
»Wie kommen Sie zu dieser Vermutung?«, wollte Hans Faste wissen.
»Einer der Schwachpunkte in Lisbeth Salanders Behandlung war der, dass man niemals eine vollständige Diagnose gestellt hat. Was damit zusammenhängt, dass sie sich jeder Behandlung entzog. Sie weigerte sich, auf Fragen zu antworten oder sich in irgendeiner Form einer therapeutischen Behandlung zu unterziehen.«
»Sie wissen also nicht, ob sie eigentlich krank ist oder nicht?«, stellte Sonja Modig fest. »Ich meine, es gibt also keinerlei Diagnose.«
»Betrachten Sie es einfach mal so«, erklärte Teleborian.
»Lisbeth Salander kam kurz vor ihrem 13. Geburtstag zu mir. Sie war psychotisch, hatte Zwangsvorstellungen und litt offensichtlich unter Verfolgungswahn. Zwei Jahre lang war sie meine Patientin, während sie in der Kinderpsychiatrie von St. Stefans bleiben musste. Der Grund für diese Zwangseinlieferung war der, dass sie in ihrer Pubertät immer wieder ein äußerst gewalttätiges Verhalten gegen ihre Schulkameraden, Lehrer und Bekannten an den Tag legte. Sie war wiederholt wegen Körperverletzung angezeigt worden. Aber die Gewalt richtete sich in allen bekannten Fällen gegen Personen aus ihrem Bekanntenkreis, also gegen jemand, der etwas gesagt oder getan hatte, was sie als Kränkung empfand. In keinem einzigen Fall hat sie einen völlig unbekannten Menschen angegriffen. Daher glaube ich, dass es sehr wohl eine Verbindung zwischen ihr und dem Paar in Enskede gibt.«
»Abgesehen von dem Angriff in der U-Bahn, als sie 17 war«, bemerkte Hans Faste.
»In diesem Fall dürfte es als gesichert gelten, dass sie angegriffen wurde und sich nur
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