Verdammnis
Geschichte noch eine andere Dimension gibt - irgendeinen Mittäter, den wir nicht kennen, andere Umstände, die mit hineingespielt haben.«
»Ich denke, es wird schwierig werden, bei einem dreifachen Mord mildernde Umstände zu finden«, meinte Fräklund. »In diesem Fall müssten wir von der Möglichkeit ausgehen, dass sie völlig unschuldig sein könnte. Und das glaube ich nicht.«
»Ich auch nicht«, pflichtete Armanskij ihm bei. »Aber Ihr Job besteht darin, der Polizei auf jede erdenkliche Art zu helfen und dazu beizutragen, dass sie so bald wie möglich festgenommen wird.«
»Budget?«, wollte Fräklund wissen.
»Wir verbuchen das unter laufenden Kosten. Ich möchte über Ihre Ausgaben auf dem Laufenden gehalten werden. Sobald sie ein vernünftiges Maß übersteigen, stellen wir das Ganze ein. Aber Sie können davon ausgehen, dass Sie ab heute mindestens eine Woche lang rund um die Uhr daran arbeiten werden.«
Er zögerte noch einmal kurz.
»Ich bin derjenige hier, der Salander am besten kennt. Das bedeutet, dass ich einer von den Leuten bin, die Sie verhören sollten«, sagte er schließlich.
Sonja Modig hastete durch den Flur und schlüpfte genau in dem Moment in den Konferenzraum, als das große Stühlescharren gerade aufgehört hatte. Sie setzte sich neben Bublanski, der das gesamte Fahndungsteam einschließlich Staatsanwalt zu dieser Sitzung gebeten hatte. Hans Faste warf ihr einen gereizten Blick zu und eröffnete dann die Versammlung.
Faste hatte weiter nach diversen Kontakten des Sozialamts mit Lisbeth Salander geforscht, die sogenannte »Psychopathenspur«, wie er sich ausdrückte, und er hatte umfassendes Material zusammentragen können. Er räusperte sich.
»Das hier ist Dr. Peter Teleborian, Chefarzt der psychiatrischen Klinik St. Stefans in Uppsala. Er war so freundlich, zu uns nach Stockholm zu kommen, um uns bei den Ermittlungen mit seinem Wissen über Lisbeth Salander behilflich zu sein.«
Sonja Modig sah Peter Teleborian an. Er war klein, hatte braunes, lockiges Haar, eine Brille mit Stahlgestell und einen dünnen Spitzbart. Er trug ein beigefarbenes Cordsakko, Jeans und ein helles, gestreiftes Hemd, dessen oberer Knopf offen stand. Sein Gesicht war scharf geschnitten, aber er wirkte irgendwie jungenhaft. Sonja hatte ihn schon mehrmals gesehen, doch nie mit ihm gesprochen. Damals hatte er in ihrem letzten Semester an der Polizeihochschule Vorlesungen über psychische Störungen gehalten und später im Zusammenhang mit einem anderen Fortbildungskurs über Psychopathen und psychopathisches Verhalten bei Jugendlichen gesprochen. Einmal hatte sie auch einen Prozess gegen einen Serienvergewaltiger mitverfolgt, bei dem er als Experte in den Zeugenstand gerufen worden war. Jahrelang hatte er sich an der öffentlichen Debatte zu seinem Spezialthema beteiligt, und nun war er einer der bekanntesten Psychiater des Landes. Besonders mit seiner harten Kritik an den Einschränkungen in der Betreuung psychisch kranker Menschen hatte er sich hervorgetan. Viele psychiatrische Krankenhäuser waren geschlossen worden, und Menschen, die eigentlich als psychische Notfälle gelten mussten, standen hilflos auf der Straße, prädestiniert dafür, als Obdachlose oder Sozialfälle zu enden. Nach dem Mord an der Außenministerin Anna Lindh saß Teleborian in der staatlichen Kommission, die sich mit dem Verfall der psychiatrischen Pflegeeinrichtungen auseinandersetzte.
Teleborian nickte den Versammelten zu und goss sich Ramlösa-Mineralwasser in einen Plastikbecher.
»Wir werden sehen, inwiefern ich Ihnen behilflich sein kann«, begann er vorsichtig. »Ich bin nicht besonders versessen darauf, dass sich meine Prophezeiungen in diesem Zusammenhang erfüllen.«
»Prophezeiungen?«, hakte Bublanski nach.
»Ja. Das ist schon fast absurd. An dem Abend, als die Morde in Enskede begangen wurden, habe ich an einer Talkshow im Fernsehen teilgenommen und über die Zeitbombe gesprochen, die beinahe überall in unserer Gesellschaft tickt. Es ist schrecklich. Ich hatte in dem Moment natürlich nicht Lisbeth Salander im Hinterkopf, aber ich habe einige Beispiele von Patienten genannt - anonym natürlich -, die sich eigentlich in Pflegeeinrichtungen befinden müssten, statt frei herumzulaufen. Ich würde schätzen, dass Sie von der Polizei allein dieses Jahr mindestens in einem halbem Dutzend Mord- oder Totschlagsfällen ermitteln müssen, bei denen der Täter genau dieser zahlenmäßig sehr begrenzten Gruppe
Weitere Kostenlose Bücher