Verdammnis
Leben?«
»Sie wissen also noch nicht mal, ob er tot oder am Leben ist.«
»Die Ärzte haben gesagt, dass …«
»Die Ärzte haben so einiges über ihn gesagt«, unterbrach Armanskij. »Es hatte ihn böse erwischt. Er konnte überhaupt nicht mehr mit seiner Umwelt kommunizieren. Letztes Jahr hat sich sein Zustand dann gebessert. Er kann nur unter großen Schwierigkeiten sprechen, und man muss gut hinhören, um ihn zu verstehen. Bei vielen Dingen braucht er Hilfe, aber er kann allein auf die Toilette gehen. Die Leute, denen etwas an ihm liegt, besuchen ihn.«
Lisbeth verschlug es die Sprache. Sie selbst hatte Palmgren vor zwei Jahren gefunden, als er seinen Schlaganfall gehabt hatte. Sie hatte den Krankenwagen gerufen, und die Ärzte stellten fest, dass die Diagnose wenig Anlass zur Hoffnung gab. Während der ersten Woche hatte sie sich im Krankenhaus einquartiert, bis ein Arzt ihr erklärte, Palmgren liege im Koma, und es sei äußerst unwahrscheinlich, dass er je wieder aufwachen würde. In dem Augenblick hatte sie aufgehört, sich um ihn zu sorgen, und hatte ihn aus ihrem Leben gestrichen. Sie war aufgestanden und hatte das Krankenhaus wortlos verlassen.
Sie runzelte die Stirn. Zur gleichen Zeit hatte sie Nils Bjurman an den Hals gekriegt, der einen Großteil ihrer Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hatte. Doch niemand, nicht einmal Armanskij, hatte ihr erzählt, dass Palmgren noch lebte, geschweige denn, dass er sich vielleicht auf dem Weg der Besserung befand. Sie selbst hatte diese Möglichkeit nicht einmal in Betracht gezogen.
Plötzlich spürte sie, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Sie hatte sich nie zuvor wie ein jämmerliches, egoistisches Stück Dreck gefühlt. Sie senkte den Kopf.
Schließlich brach Armanskij das Schweigen.
»Wie geht es Ihnen denn?«
Lisbeth zuckte die Schultern.
»Wovon leben Sie? Haben Sie eine Arbeit?«
»Nein, ich habe keine Arbeit, und ich weiß nicht, was ich arbeiten möchte. Aber ich habe genug Geld, ich komme zurecht.«
Armanskij musterte sie forschend.
»Ich bin nur vorbeigekommen, um Hallo zu sagen … ich suche keine Arbeit. Ich weiß nicht … vielleicht würde ich einen Job für Sie übernehmen, wenn Sie mich irgendwann mal wieder brauchen, aber dann muss es was sein, was mich wirklich interessiert.«
»Ich nehme an, Sie wollen mir nicht erzählen, was letztes Jahr da oben in Hedestad passiert ist?«
Lisbeth schwieg.
»Irgendetwas ist doch passiert. Martin Vanger hat sich totgefahren, kurz nachdem Sie hier unten waren und sich die Überwachungsausrüstung ausgeliehen haben, weil sie lebensgefährlich bedroht wurden. Und dann ersteht seine Schwester auch noch von den Toten auf. Das Ganze war gelinde gesagt eine Sensation.«
»Ich habe versprochen, nichts zu erzählen.«
Armanskij nickte.
»Und ich nehme mal stark an, Sie wollen mir auch nicht erzählen, welche Rolle Sie bei der Wennerström-Affäre gespielt haben.«
»Ich habe Kalle Blomkvist bei seiner Recherche geholfen.« Auf einmal klang ihre Stimme bedeutend kühler. »Das war alles. Ich will da nicht weiter mit reingezogen werden.«
»Mikael Blomkvist hat Sie verzweifelt gesucht. Er hat sich mindestens einmal pro Monat bei mir gemeldet und nachgefragt, ob ich etwas von Ihnen gehört hätte. Dem liegt auch etwas an Ihnen.«
Lisbeth blieb stumm, doch Armanskij bemerkte, dass ihr Mund sich jetzt in einen schmalen Strich verwandelt hatte.
»Ich weiß nicht recht, ob ich ihn mag«, fuhr Armanskij fort. »Aber ihm liegt tatsächlich etwas an Ihnen. Er will übrigens auch nicht über Hedestad sprechen.«
Lisbeth hatte keine Lust, über Mikael Blomkvist zu diskutieren.
»Ich bin nur vorbeigekommen, um Hallo zu sagen und Ihnen mitzuteilen, dass ich wieder in der Stadt bin. Ich weiß nicht, ob ich hierbleiben werde. Hier sind meine Handynummer und meine neue Mailadresse - für den Fall, dass Sie mich brauchen.«
Sie reichte Armanskij einen Zettel und stand auf. Er nahm ihn entgegen. Erst als sie schon an der Tür war, rief er ihr hinterher.
»Warten Sie mal kurz. Was haben Sie vor?«
»Ich gehe jetzt Holger Palmgren besuchen.«
»Okay. Aber ich meinte eigentlich … was wollen Sie jetzt arbeiten?«
Sie betrachtete ihn nachdenklich.
»Ich weiß nicht.«
»Sie müssen doch Ihren Lebensunterhalt verdienen.«
»Ich hab Ihnen doch schon gesagt, ich hab genug Geld, um auch so klarzukommen.«
Armanskij lehnte sich zurück und überlegte. Bei Lisbeth Salander war er nie ganz sicher, wie er ihre
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