Verdammt feurig
jetzt waren es vier, die mich in den Wahnsinn trieben: SpongeBob, der immer noch ununterbrochen über mir herumwabbelte, meine eigene Mutter, mein gestörter Hund und mein Handy. Vor allem das mit SpongeBob machte mir zu schaffen. Seit diesem kurzen Moment bei Sofie hatte er seine Augen nicht mehr geöffnet.
Leander hatte gesagt, dass die Wächter ab und zu verschwanden und ihre Klienten alleine ließen, damit die Menschen lernten, ohne sie klarzukommen. Und das passierte fast immer, wenn die Klienten erwachsen wurden. Aber die Amöbe brach nur nachts zu ihrem Rundflug auf und kehrte jedes Mal exakt nach sechzig Minuten zurück. Meistens bekam ich es gar nicht mit, weil ich fest schlief. Ich schlief überhaupt sehr fest neuerdings. Aber wenn ich mal wach lag, konnte man die Uhr nach Vitus’ Rundflügen stellen.
Eine Woche nach Sofies und meiner Pyjamaparty war also immer noch alles so wie vorher. Am Freitagnachmittag hielt ich diesen Stillstand nicht mehr aus. Ich sperrte mich im Bad ein, kramte Papas schwarzen Kulturbeutel aus dem Schrank und beschloss, mir die Beine zu rasieren. Vielleicht half es ja. Sofie konnte kaum fassen, dass ich es immer noch nicht getan hatte. (Warum auch? Niemand außer mir sah meine Beine, ich hatte immer Hosen an.)
Spaß machte es mir jedoch keinen. Zuerst explodierte mir die Dose mit dem Schaum, dann schaffte ich es kaum, den Rasierer richtig zusammenzusetzen. Er fiel immer wieder auseinander – keine Ahnung, warum. Die Klingen waren höllisch scharf und ich schnitt mir beinahe meinen rechten Fuß ab. Nach einer halben Stunde sahen meine Beine eigentlich genauso aus wie vorher – mit dem einzigen Unterschied, dass meine Haut wie Feuer brannte. Außerdem hatte ich in den Kniekehlen rote, juckende Punkte bekommen, weil ich den Schaum nicht vertrug.
Ich packte die Sachen schnell wieder in Papas Kulturbeutel und stolzierte eine Weile mit nackten Beinen in der Wohnung herum, aber SpongeBob ließ seine Augen stur geschlossen und wabbelte leblos wie immer über mir herum.
Tja, und dann – dann passierte ein kleines Unglück. Am nächsten Morgen wollte Papa sich rasieren. Im Gesicht natürlich. Dummerweise fiel der Rasierer dabei auseinander, weil ich ihn nach meinem Gebrauch nicht richtig zusammengesetzt hatte. Papa wollte ihn auffangen und schnitt sich dabei die rechte Hand auf und Mama musste ihn in die Notaufnahme fahren. Der ganze Badezimmerteppich war voller Blut. So etwas hatte es noch nie gegeben im Hause Morgenroth – jemand anderes als ich musste in die Notaufnahme! Ich war fast gekränkt, als Mama sagte, ich solle zu Hause bleiben und »die Stellung halten«. Ich kannte schließlich jeden einzelnen Mitarbeiter dort und die Ärzte erst recht und ich hätte ihnen gerne Hallo gesagt. Das Ende der Geschichte war, dass Papas Hand genäht werden musste und er Arbeitsverbot bekam.
Und der Bierlapp freute sich.
Ab diesem Morgen wurde es noch ungemütlicher, als es sowieso schon gewesen war. Denn Papa war nicht blöd. Er hatte natürlich gemerkt, dass jemand seinen Kulturbeutel »entwendet hatte«, wie er es formulierte. Und das konnte nur ich gewesen sein. Denn Mama epilierte ihre Beine, wie ich beim anschließenden Familienstreit erfuhr. Epilieren bedeutete, dass sie sich von einem rosafarbenen Höllengerät (sie schwenkte es vor unseren Nasen herum, um ihre Unschuld zu beweisen) jedes einzelne Haar ausreißen ließ. Ich sag ja, Mama ist ein bisschen bescheuert.
Vor Papa wollte ich nicht zugeben, dass ich mir die Beine rasiert hatte. War mir irgendwie peinlich. Aber als er sich mit Anzug und Krawatte ins Bett gelegt hatte, um sich von dem Schock zu erholen, gestand ich Mama, dass ich es tatsächlich gewesen war. Denn ich ahnte, dass sie sich insgeheim darüber freuen würde. Und so war es auch.
»Aber du kannst doch nicht einfach Papas Sachen nehmen«, schalt sie mich in gespielter Entrüstung.
»Ich hab mich halt nicht getraut, dich zu fragen«, murmelte ich und hielt unauffällig die Luft an, damit ich errötete. »Ich dachte, du verbietest es mir vielleicht.« Ich wischte mir mit der rechten Hand übers Gesicht, als hätte ich Tränen in den Augen.
»Ach, Luzie, du kannst mit mir über alles reden, das hab ich dir doch gesagt! Vor allem über solche Dinge«, beteuerte Mama und zwinkerte mir verschwörerisch zu. »Das regeln Frauen am besten unter sich. Ich kann dir das nächste Mal meinen Epilierer …«
»Nein, bitte nicht!«, rief ich schnell. Ich war ja nicht
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