Verdammt feurig
zimperlich, aber wenn sie mit dem Epilierer anrückte, würde ich schreiend aus dem Haus rennen. Mir reichten meine drei bis fünf Schnittwunden an den Knöcheln. Zum Glück hatte ich mir nicht wie Papa eine Sehne durchtrennt.
»Na, dann kriegt mein Mädchen eben einen Ladyshaver.«
»Okay.« Ich lächelte Mama reumütig an, obwohl ich keine Ahnung hatte, was ein Ladyshaver war, und wischte mir noch einmal ein paar vorgetäuschte Tränen weg.
»Sag mal, Luzie – ist das nicht das Tuch von Serdan, das du da um dein Handgelenkt trägst?«
Oh. Ja, für Mama war es das Tuch von Serdan. Für mich aber war es das Tuch von Leander, diesem verfluchten, gemeinen, hinterhältigen Körperwächter. Offenbar hatte er es bei mir vergessen. Ich hatte es am Tag nach seinem nächtlichen Besuch unter meinem Kopfkissen gefunden und es zuerst zwischen Matratze und Bettkante gestopft. Ich wollte es weder sehen noch fühlen noch riechen (es roch nämlich schwach nach seinem Duschgel). Aber wegschmeißen konnte ich es auch nicht – Mogwai fischte es jedes Mal von Neuem aus dem Papierkorb. Irgendwie liebte er dieses Tuch. Und wenn ich es um mein Handgelenk wickelte, war Mogwai eine Spur netter zu mir als sonst und gehorchte ein kleines bisschen besser. Gestern hatte er es sogar zugelassen, dass ich ihn hinterm Ohr kraulte, und dabei nicht den Kopf weggedreht oder sich steif gemacht.
Aber Mama wusste all das nicht und für sie war es das Tuch von Serdan.
»Ja, stimmt. Er hat es mir – geschenkt«, flunkerte ich.
»Oh, ich verstehe! Als Dankeschön, weil du vor Weihnachten seine Kleider gewaschen hast.«
Nein. Leanders Kleider. Die nicht ich, sondern er selbst in die Maschine geschmissen hatte. Samt seinen Boots. Verdammt, ich hatte wirklich viel gelogen in den vergangenen Wochen. Und der arme Serdan hatte sich nie erklären können, warum unser Vertrauenslehrer ihm nach einem sehr seltsamen Gespräch einen Karton mit alten Klamotten meines Vaters überreicht hatte. Mama hatte ihn der Schulleitung in die Hand gedrückt, weil sie wollte, dass der edle Spender anonym blieb, um »die bemitleidenswerte Familie nicht zusätzlich zu demütigen«. Serdan hatte die Kiste nach brauchbaren Klamotten durchwühlt und den Rest seinen Verwandten geschenkt, und mir blieb nichts anderes übrig, als Mama in ihrem Glauben zu lassen und zu nicken. »Genau. Ein Dankeschön wegen der Waschaktion.«
»Das ist ja niedlich«, hauchte Mama (was sich bei ihr anhörte wie das Rauschen des kaputten Boilers im Gästeklo). »Magst du Serdan denn?«
Na klasse. Jetzt auch noch das … Ich konnte nicht genau sagen, ob ich Serdan mochte oder nicht, weil wir noch nie mehr als zehn Sätze miteinander geredet hatten. Andererseits – wenn Mama glaubte, ich sei in Serdan verknallt und das den Lombardis erzählte und Seppo es mitbekam … dann wäre das gar nicht so verkehrt. Immerhin hatte Sofie gesagt, dass man Jungs prima für sich gewinnen könne, wenn man sie eifersüchtig machte. Und wirklich erfunden war es nicht. Ja, ich mochte Serdan. So, wie ich meine Frühstückserdnussbutterschnitte mochte. Mit der unterhielt ich mich auch nicht. Aber ich war froh, dass sie da war.
»Ja. Ich glaub, ich mag ihn.« Ich hielt wieder die Luft an und klapperte dabei mit meinen Wimpern. Mama war so hingerissen, dass ich rasch noch einen draufsetzte.
»Mama – möchtest du mich vielleicht schminken? Du kannst das doch ganz gut.«
Mamas Lippen spitzten sich und ihre Augen wurden kugelrund.
»Wie bitte?«
Ich seufzte tief. »Ich dachte, dass … na ja … Wir haben doch nächstes Wochenende unseren Fastnachtsschulball und sollen uns alle verkleiden – und Serdan ist auch da …«
Mama sah jetzt aus wie ein Wasserspeier. Ihr Mund formte ein riesiges O und ihre Augen quollen gefährlich hervor. Keine Frage, sie war begeistert.
»Oh Luzie!«, trompetete sie. »Ich hab so lange auf diesen Moment gewartet!« Sie presste mich an sich und drückte mir einen schallenden Kuss aufs Ohr. Sofort begann es zu piepsen. »Du gehst mit Serdan auf einen Ball! Wie romantisch! Aber als was willst du denn überhaupt gehen?«
»Als Mädchen«, sagte ich schulterzuckend.
»Als Mädchen? Liebes, du bist ein Mädchen.«
»Ja, aber ich zieh mich meistens nicht so an und …«
»Oh ja, da sagst du etwas Wahres«, fiel mir Mama ins Wort und schnalzte mit der Zunge. »Trotzdem, Mädchen allein reicht nicht. Das ist zu wenig. Nein, wie wäre es mit – einer Ballerina! Oder einer Prinzessin!
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