Verdammt feurig
eurem Schulball beizuwohnen.«
»Was!?«, riefen Mama und ich gleichzeitig – ich leise, Mama in Orchesterlautstärke.
»Sie geht auf den Schulball! Und wie sie auf den Schulball gehen wird!«, trötete Mama. »Ich nähe mir doch nicht die Finger blutig, damit mein Töchterchen am Ende zu Hause bleibt!«
»Was hat dieser ganze Klimbim überhaupt gekostet?«, fragte Papa mit missbilligender Miene. »Meine liebe Rosa, du weißt genau, dass wir eine harte Zeit durchleben, solange meine Hand kaputt ist. Und dann kaufst du solchen Flitterkram, nur für einen einzigen Abend. Luzie will doch gar keinen Flitterkram.«
»Das will sie sehr wohl! – Das willst du doch, Luzie, oder?«
»Hmpf«, machte ich. Das hatte ich von Serdan gelernt. Im Zweifelsfall half immer ein Hmpf und dazu das Luftblasengesicht.
Doch Mama und Papa hackten weiter aufeinander ein, und irgendwann fand Mama keine guten Argumente mehr, weshalb ich trotz Hausarrest auf einen Schulball gehen sollte, wenn ich mich doch gleichzeitig weigerte, Papa zu helfen. Und Papa wollte nicht, dass sie ihm stattdessen half. Erstens sei das erzieherisch inkonsequent und zweitens habe sie schon genug hilflose tote Menschen verunstaltet. Mama schleuderte wütend einen grasgrünen Stofffetzen in die Ecke und holte tief Luft.
»Hallo, ich bin auch noch da«, versuchte ich, mir Gehör zu verschaffen, denn mein Hmpf hatte ja nichts gebracht. »Es ist nicht so, dass ich Papa nicht helfen will. Ich kann einfach nicht. Okay? Ich kann da nicht runter. Und jetzt lasst mich bitte in Ruhe. Auch du, Mama. Ich meine das ernst.«
Schlagartig herrschte Totenstille in der Küche. Langsam ließ Papa sich zurück auf den Stuhl sinken und sah mich besorgt an. Sein kühler Blick wurde milder.
»Luzie«, durchbrach er die Stille und streckte seine verletzte Hand zu mir aus. »Komm mal her, mein Schatz.«
»Nein!«, sagte ich widerborstig und rannte in mein Zimmer. Sie wussten es. Sie hatten es kapiert, ohne dass ich es zugegeben hatte. Ja, ich fürchtete mich vor dem Keller. Und es wurde immer schlimmer. Manchmal schaute ich sogar zu Boden, wenn ich draußen auf dem Bürgersteig an den Kellerfenstern vorbeilief, weil ich Angst hatte, zufällig irgendetwas zu sehen, was ich nicht sehen wollte. Dabei wusste ich genau, dass Papa die Vorhänge geschlossen hielt, wenn er eine Leiche herrichtete. Ich hielt die Luft an, wenn ich durchs Treppenhaus ging, um nichts riechen zu müssen, und gestern Abend hatte ich Papa nicht mal umarmen wollen, als ich ihm gute Nacht sagte, weil ich wusste, dass neues Material eingetroffen war und er es sicherlich berührt hatte. Ich hatte das Gefühl, dass da unten etwas war. Dass es auch mich holen konnte, wenn ich dem Keller zu nahe kam.
»Ich will nicht drüber reden!«, fauchte ich Mama an, die mir nach einigen Minuten in mein Zimmer folgte. »Ich will jetzt allein sein, das hab ich euch doch gesagt.«
Mogwai erhob sich aus seinem Körbchen, setzte sich neben mich und blickte Mama herausfordernd an. Irgendwie kapierte der doofe Hund, dass Mama etwas wollte, was ich nicht wollte, und das tröstete mich ein bisschen.
»Ist ja gut, Luzie. Ich – ich möchte auch nur …« Ich hielt mir die Ohren zu und begann vor mich hin zu singen.
»ICH – WILL – DIR – DOCH – NUR – SAGEN, DASS – DU – AUF – DEN – BALL – GEHEN DARFST! HAST DU MICH VER–«
»Jaaa, habe ich! Oh Mann, Mama, von deinem Geschrei kriegt man ja Kopfweh!«
»Dann nimm halt die Hände von den Ohren. Papa und ich haben uns geeinigt. Ich werde seine Kunden dezent schminken«, Mama setzte ein säuerliches Gesicht auf, »du hilfst mir ein bisschen in der Küche und morgen wirst du meine kleine Meerjungfrau.«
»Ich werde nicht deine Meerjungfrau. Ich werde einfach nur Meerjungfrau. Grün, nicht pink. Sonst bleibe ich freiwillig hier.«
Zu meiner allergrößten Überraschung war das Kostüm tatsächlich grün und nicht pink. Ich war noch nie am Meer gewesen, aber genau so stellte ich mir das Meer vor: ein Mischmasch aus tausend Blau-, Türkis- und Grünschattierungen. Mama hatte mir sogar einen Fischschwanz gebastelt, den ich wie eine Schleppe hinter mir herziehen konnte. Sie hatte unzählige silbrige Pailletten auf den Stoff genäht, sodass die Flosse in allen möglichen Glitzertönen funkelte.
Mama strahlte über beide Backen, als sie mir das Kostüm am späten Samstagnachmittag präsentierte.
»Tataaaa!«, posaunte sie und legte es andächtig auf mein Bett. »Probier es an!
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