Verdammt wenig Leben
es nach einer Stunde auswendig.«
Jason hatte die verschiedenen Käsesorten in einer gelben Porzellanschüssel vermischt und hielt mit dem Schneebesen in der Hand inne.
»Der Punkt ist nicht, dass ich das Drehbuch nicht gelernt hatte, Darling. Ich hatte gar kein Drehbuch«, erklärte er. »Minerva hat mir das falsche Storyboard geschickt und ich habe sie den ganzen Nachmittag nicht erreicht.«
Es dauerte ein paar Sekunden, bis Alice antwortete.
»Du hast ohne Drehbuch gespielt?«, fragte sie schließlich. »Das kann ich gar nicht glauben. Es machte den Eindruck, als hättest du dich daran gehalten …«
»Tja, du weißt ja: Intuition. Und natürlich Erfahrung. Das ist nicht die erste Sofaszene, die wir filmen.«
»Aber sehr wohl unser erstes Wiedersehen.«
Jason war dabei, die Käsemischung auf kleiner Flamme schaumig aufzuschlagen, und erhöhte jetzt die Geschwindigkeit. Das Nudelwasser hatte angefangen zu kochen.
»Weißt du was? Ich hatte eigentlich die Hoffnung schon aufgegeben, dass sie dich wieder in die Sendung nehmen«, erklärte er. »Die Leute lieben Clarissa.«
»Clarissa wird weitermachen«, erwiderte Alice in gedämpftem Ton. »Das haben sie dir gesagt, oder? Dein Leben soll ein bisschen unanständiger werden. Bis jetzt bist du zu perfekt gewesen.«
»Schade, dass wir uns das alles nicht einfach sparen können. Clarissa ist in Ordnung, aber ich mag keine Komplikationen. Ich würde Minerva ja bitten, sich dafür stark zu machen, dass Clarissa endgültig aus der Sendung gestrichen wird, aber ich will ihrer Karriere nicht schaden …«
»Dann tu’s nicht«, unterbrach ihn Alice. »Im Moment sind wir beide auf dich angewiesen.«
Dieses Eingeständnis löste Unbehagen bei Jason aus. So etwas aus dem Mund der stolzen Alice zu hören, war ziemlich beunruhigend.
Außerdem war das sehr großzügig von ihr. Denn wenn Jason Clarissa loswerden könnte, würde das natürlich am meisten ihr selbst zugutekommen. Jetzt war es ihm peinlich, dass er überhaupt in Erwägung gezogen hatte, dem Mädchen, das monatelang seine Freundin gewesen war, derartig zu schaden. Alice hatte recht, das wäre wirklich egoistisch von ihm.
Während er etwas Sahne in die Käsesoße rührte, sah er nach dem Nudeltopf.
»Tinki, wirf die Pasta ins Wasser und achte auf die Garzeit. Das hier ist fast fertig.« An Alice gerichtet fügte er hinzu: »Dann hast du das Skript also ganz normal bekommen? Hat Minerva irgendwas dazu gesagt?«
Durch den Verstärker war ein leises metallisches Geräusch zu hören, als wäre gerade etwas heruntergefallen. Dann hörte er das Knistern von Alice’ Rock. Einen Moment lang hatte er die Hoffnung, sie hätte sich vom Sofa aufgerafft, um ihm bei der Zubereitung des Abendessens Gesellschaft zu leisten. Er musste sie bei sich haben, er musste sie unbedingt bei sich haben.
Als sie nicht antwortete, stellte er die Frage noch einmal.
»Ich habe nicht direkt mit Minerva gesprochen«, erklärte Alice endlich. »Sie hat mir das Drehbuch gestern ganz spät geschickt, ohne Kommentar. Apropos, wir haben mehrere Dialoge ausgelassen, aber insgesamt ist es nicht groß aufgefallen.«
»Ich glaube nicht, dass Minerva sich trauen wird, uns das vorzuwerfen. Letztendlich war es ihre Schuld. Und ich hab keine so schlechte Figur gemacht, oder? Wenn das öfter vorkommt, entwickle ich mich noch zum Meister der Improvisation.«
»Das kommt bestimmt nicht noch mal vor. Minerva ist viel zu professionell, um so einen Fehler mehr als einmal zu begehen. Als ich in deiner Sendung aufgehört habe, wollte sie mich nicht als Klientin nehmen, weißt du? Ich hatte ein Angebot bei einem neuen Produzenten, aber ohne eine gute Drehbuchautorin war ihnen das Risiko zu groß.«
»Sie hat dich abgelehnt?«, fragte Jason ungläubig. »Merkwürdig, davon hat sie mir gar nichts gesagt.«
»Sie erstickt in Arbeit. Es ist logisch, dass sie nicht alles annehmen kann, was ihr angeboten wird. Und ich bin noch kein Star.«
Während Jason weiter zuhörte, deckte er den Tisch und beobachtete, wie Tinkerbell die Tagliatelle auf zwei Teller verteilte. Er selbst goss die Soße auf die beiden Häufchen Pasta.
»Das Abendessen ist angerichtet, Darling!« Er war zur Wohnzimmertür gegangen. »Jetzt musst du aber aufstehen …«
Er unterbrach sich, als er merkte, dass Alice gar nicht mehr auf dem Sofa lag. Sie stand mit dem Rücken zum Fenster, die Hände hinter dem Rücken, wie ein Schulmädchen, das weiß, dass es etwas Verbotenes getan hat und
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