Verdammt
den man mir ans Fußende gelegt hat. Langsam streiche ich mit den Fingern über den weichen, seidigen Stoff, der so ganz anders ist als der abgetragene Flanellbademantel, den ich sonst immer trage, und binde ihn mir bequem in der Taille fest, während ich mich in dem großen Zimmer umsehe – die Frisierkommode mit ihren zarten Spitzendeckchen und den silbernen Bürsten und Kämmen, den Kristalllüster an der Decke, den gemauerten Kamin, in dem noch die Asche des von Violet entzündeten Feuers glüht, das kleine Samtsofa direkt daneben. Und eine Staffelei, die nur auf mich wartet – alles ist bereit, mitsamt einer frischen, unberührten Leinwand, die mich förmlich anbettelt, ihr Leben einzuhauchen.
»Mal deine Träume«, hatte es geheißen, also tue ich es. Kurz überlege ich, ob ich zuhause anrufen soll, um Bescheid zu sagen, dass ich gut angekommen bin, doch ebenso schnell verwerfe ich den Gedanken wieder. Seit Nina eingezogen ist, hat mein Vater keine Zeit mehr für mich und mich wahrscheinlich inzwischen schon vergessen. Außerdem möchte ich lieber malen. Ich muss malen, solange die Bilder in meinem Kopf noch frisch sind.
Ich hole die Tasche von der Bank am Fuß des Betts, froh, dass ich so schlau war, meine besten Pinsel und Farben nicht zusammen mit meinem restlichen Gepäck einzuchecken. Ich drücke Farbe aus den Tuben mit den Aufschriften Schwarz, Weiß und Rot, da ich für diesen speziellen Traum, einen Traum, den ich schon einmal hatte, allerdings nur zersplittert, in Fragmenten, noch nie so lebhaft wie diesmal, nur dieses Farbenspektrum brauche.
Ich bin bereits so in mein Thema vertieft, dass ich es kaum mitbekomme, als Violet hereinschaut.
»Entschuldigen Sie die Störung, Miss, aber ich habe Sie umhergehen hören und mir gedacht, Sie möchten vielleicht etwas essen.«
Sie kommt auf mich zu und stellt das Tablett auf ein Tischchen neben dem Samtsofa, während ich mein Bild kritisch betrachte. Über eine Stunde lang habe ich mit dem Nebel gekämpft, und er kommt mir immer noch nicht richtig vor. In meinem Traum wirkte er so lebendig, doch hier ist er nur ein wabernder weißer Klecks.
»Ich bin ja keine Expertin, aber das sieht aus, als würde es richtig gut werden, Miss. Wirklich richtig gut.« Sie stellt sich neben mich und blinzelt.
Ich zucke die Achseln und verziehe den Mund und wünschte, ich könnte ihr zustimmen. Nachdem ich selbst schon immer meine strengste Kritikerin war, bin ich noch nicht ganz zufrieden. Nicht einmal ansatzweise.
»Vielleicht ein bisschen mehr … Rot. Genau hier, Miss.« Sie zeigt auf die Mitte, die einzige Stelle, wo überhaupt Farbe ist. »Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.«
Ich blicke zwischen ihr und der Leinwand hin und her und bemerke, dass sie viel jünger aussieht als zuvor – ihr Gesicht ist runder und voller, und die Wangen haben ein bisschen Farbe bekommen. Ich schreibe meinen ersten Eindruck einer Kombination aus schlechter Beleuchtung und Jetlag zu, konzentriere mich wieder auf mein Bild und folge ihrem Vorschlag, ehe wir beide einen Schritt zurücktreten, um es zu betrachten.
»Wie gesagt, ich bin keine Expertin, aber es sieht doch jetzt besser aus, nicht wahr? Es gibt dem Ganzen mehr …
Leben – finden Sie nicht?« Ihre blauen Augen leuchten auf, und ihre Wangen laufen hellrosa an, und einen Augenblick lang ist sie so verändert, dass ich sie nur anstarren kann.
»Es ist wirklich besser.« Ich nicke und blicke zwischen ihr und dem Bild hin und her. »Ich dachte, ich ziehe mich mal an und fahre in den Ort, um mich ein bisschen umzusehen und mir ein paar Sachen zu besorgen, damit ich über die Runden komme, bis mein Gepäck eintrifft. Können Sie mir einen Stadtplan leihen oder so was? Oder mir zumindest sagen, wo die Läden sind?«
Sie beißt sich auf die Lippe und senkt den Blick. Einen Moment lang scheint die Frage, sie aus der Ruhe zu bringen, doch dies wird schon bald von ihren Worten überdeckt. »Sicher, Miss. Natürlich, gern. Aber jetzt ist wahrscheinlich nicht der günstigste Zeitpunkt. Lieber noch ein bisschen warten, ja?«
Ich lege den Kopf schief, lasse die Hand mit dem Pinsel herunterhängen und frage mich, was sie damit gemeint hat.
»Nun ja, nur für den Fall, dass Sie es nicht bemerkt haben, es ist stockfinster und noch eine ganze Zeit hin bis zum Morgen.« Sie geht zum Fenster und zieht mit einem Ruck den Vorhang beiseite, sodass eine pechschwarze Landschaftssilhouette zum Vorschein kommt, bevor sie ihn wieder
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