Verdammt
Michael glaubte, sich übergeben zu müssen. Er wollte zu Lilith hinüberschauen, hielt jedoch den Blick gesenkt. Kirk riss ihn nach hinten, und er verlor die Brille. Sie landete neben Carters Sneaker, kurz davor, zertreten zu werden.
Carter hielt das Huhn vor Paul Michael, damit er es riechen konnte. Seine Federn flatterten ihm ins Gesicht. Er versuchte, sich wegzuducken, doch Kirk hielt ihn wie in einem Schraubstock.
»Beiß rein«, befahl Carter. Mit seiner freien Hand fasste er in die Hosentasche, zog ein Taschenmesser heraus und hielt es Paul Michael an die Kehle. Ein paar Leute hatten sich um sie geschart und lachten nervös.
Es war schwer zu sagen, ob es das Huhn war oder etwas anderes, doch Paul Michael spürte, wie etwas herabstieß und ihm übers Gesicht kratzte, und auf einmal war Lilith da.
Jemand schrie.
»Du hast keine Ahnung«, sagte sie mit einer Stimme, die wesentlich voller und tiefer klang, als man sie aus dem Mund einer Siebzehnjährigen erwartet hätte, »wie groß mein Mund ist. Ich könnte dir mit einem Biss den Kopf abbeißen.«
Sie riss Carter das Messer so schnell und mit solcher Gewalt aus der Hand, dass er rückwärtsstolperte und der Vogel zu Boden fiel und hilflos mit den Flügeln schlug.
Dann machte Paul Michael sich von Kirk los, und sie
griff nach seiner Hand, umfasste sie und lief los. Paul Michael vernahm ein leises Knirschen, als seine Brille unter seinen Füßen zerbrach.
Sie liefen eine Weile, die ihm lang erschien, aber eigentlich war Paul Michael nicht müde. Er hatte das Gefühl, irgendwie stärker zu werden. Es war fast wie Fliegen.
Als sie den Highway erreichten, wollte er sogleich die Straße überqueren, doch Lilith zog ihn zurück, sodass sich sein Rücken gegen ihre Brüste presste. Er wandte den Kopf, um sie anzusehen, als ein Auto vorbeipreschte, das mit wahnwitziger Geschwindigkeit aus dem Nichts um die Kurve gerast kam. Einen Moment lang sah er sie hell beleuchtet von dessen Scheinwerfern.
»Schau in beide Richtungen«, warnte sie ihn.
Sie war so schön, dachte er. Er würde alles für sie tun.
Sie gingen hinüber. Parallel zur Straße verlief ein ausgetrocknetes Flussbett, neben dem ein alter, schwarzer Mercedes stand. Sie krochen unter einem Maschendrahtzaun hindurch, und sie führte ihn hinunter ins Flussbett. Normalerweise war es voller Wasser aus den Bergen, der einzige Beweis im Nirgendwo, dass die weißen Gipfel echt waren, selbst in der Hitze des Tals. Unten legten sie sich hin, zwischen Flusssteinen und Erde, und blickten hinauf zu den Sternen am Himmel.
»Warum wolltest du zu dieser Party gehen?«, fragte er.
Sie lachte. Fast scheu. »Es ist so gut wie ein Vorspiel, diesen Idioten bei ihren bescheuerten Spielchen zuzusehen.«
Er nahm ihr Carters Messer aus der Hand. Sie hatte es die ganze Zeit umfasst gehalten.
»Was machst du?«, fragte sie leise und lächelte dabei.
Er schob seine Haare weg vom Hals – und dachte sich dabei, er werde sie abschneiden müssen, da sie ihr im Weg waren – und bot ihr seine Sehnen dar. Dann hielt er sich das Messer an den Hals. Sie lachte.
»Das brauche ich nicht, Dummerchen«, erklärte sie.
Natürlich , dachte Paul Michael. Puh. Wo hast du denn dein Hirn, Paul Michael?
Als sie sich von ihm losmachte, pochte es in seinem Hals, und Liliths Mund war schwarz von Blut in der Dunkelheit.
»Du bist dran«, sagte sie.
Die Rettung
Es gab nur noch ein weiteres Mal.
Mitten in der Nacht wachte er auf und wusste, er musste zu ihr. Er ging unter die Dusche und schrubbte sich die Haut mit einem rauen Waschlappen ab, bis es fast wehtat. Anschließend schlang er sich ein Handtuch um die Hüften und rasierte sich. Dann nahm er eine Schere, schnitt sich das ganze nasse Haar ab und rasierte die Überreste weg. Die paar kleinen Schnitte auf der Kopfhaut tupfte er mit etwas Toilettenpapier ab. Er zog ein weißes Unterhemd und eine Levi’s an. Die Jeans saßen locker – er hatte um den Bauch herum abgenommen. Brille setzte er keine auf. Sie war zerbrochen, weg, im Schmutz verloren gegangen, und er brauchte sie sowieso nicht. Paul Michael ging hinaus und rannte los. Auf einmal begriff er, dass er wahrscheinlich nicht so viel Zeit im Bad hätte vergeuden sollen.
Ihr alter Mercedes parkte am Flussufer. Die Fahrräder von Carter und Kirk standen gleich daneben, und der Kofferraum war offen.
Er schlich sich ganz leise heran, erstaunt darüber, wie leicht und leise sein Schritt geworden war, und beobachtete, was vor
Weitere Kostenlose Bücher