Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
Unterredung im Vorzimmer. Der Captain runzelt die Stirn, sagt aber nichts. Melville kehrt nach ein paar Minuten zurück und berichtet, ein Mann, der Seiler gewesen sein könnte, sei gestern nach sechs Uhr nachmittags in Kings Cross Station gesehen worden, und zwar in Begleitung einer jungen Frau. Die Zeit könnte zur Ankunft des Flying Scotchman passen. Weisungsgemäß habe ihn der Detektiv, der ihn erkannt haben will, nicht angehalten, sondern versucht, ihm zu folgen. Er habe ihn aber im Gedränge auf dem Bahnhof verloren. Ganz sicher sei sich der Mann nicht gewesen, der Verdächtige sei möglicherweise zu alt, denn er habe einen ergrauten Oberlippenbart getragen. Die Nachricht habe den Yard gestern abend erreicht, doch habe Shiel erst heute morgen davon erfahren. Der Inspektor habe jedenfalls vorsichtshalber einen Zivilbeamten im Cecil Court postiert.
» Falls es wirklich Seiler war«, sagt Melville, » dann handelt es sich bei der jungen Frau bestimmt um Petermans Tochter, denn die beiden haben etwas miteinander, wie in Kiel ganz eindeutig zu erkennen gewesen war.« Er schlägt vor, die Tochter zu verhören und ihr einen gewaltigen Schrecken einzujagen, um sie zur Aussage zu bewegen.
Kell lehnt das sofort ab. Auch Peterman solle nicht dazu vernommen werden, um ihn, beziehungsweise seine Tochter und somit auch Seiler, nicht zu warnen. Er ordnet an, daß die Tochter von jetzt an ständig von zwei Detektiven beobachtet werden soll, und teilt Drummond und Clarke als erste dazu ein.
Um neun sind sie im Cecil Court und besprechen sich an der Ecke vor dem Salisbury mit dem Scotland-Yard-Detektiv. Der sagt, es habe sich nichts getan. Der Laden sei geöffnet, aber die Tochter habe er noch nicht gesehen. Clarke teilt ihm mit, daß sie die Beobachtung übernehmen, der Mann verabschiedet sich und geht.
Sie verabreden, daß Drummond sich an der Charing Cross postieren soll, Clarke beim Salisbury an der St. Martin’s Lane. Sollte die Tochter auftauchen, muß der, in dessen Richtung sie geht, ihr folgen, der andere soll bei Kell anrufen.
Es wird halb eins, ohne daß sich etwas tut. Aber dann kommt Peterman aus seinem Laden, schließt die Tür ab und geht ins Salisbury. Clarke nutzt das, um am Bookshop vorbeizugehen, und sieht eine Notiz an der Tür: Back by 1 o’clock. Er teilt dies Drummond mit und bemerkt, daß es so aussehe, als wäre Vivian nicht im Haus, denn sonst würde sie ja wohl den Laden hüten, während ihr Vater sein Bier trinke. Dann geht er zurück auf seinen Posten vor dem Pub. Eine Viertelstunde später, Punkt eins, kommt Peterman heraus und öffnet sein Geschäft wieder.
Etwa vierzig Minuten danach sieht Drummond, daß Clarke ihm winkt. Er geht zu ihm hin, und Clarke sagt: » Hör mal, ich komme um vor Hunger. Ich gehe eben mal vor zur New Street und esse was in dem Pub an der Ecke.« Er nickt zum Salisbury hin und erklärt: » Da rein geh ich besser nicht, weil ich hier schon so lang herumlungere.«
» Allright«, erwidert Drummond, » ich passe inzwischen auf. Danach bin ich dran.« Sein Magen knurrt auch schon, und er sehnt sich nach einem Bier. Er schlendert zurück zur Ecke Charing Cross, schaut sich nach dem Bookshop um, aber in der Gasse ist nichts los, abgesehen von ein paar Passanten. Er wirft einen Blick nach rechts, die Charing Cross entlang, dann nach links, und da kommt, keine zehn Meter von ihm weg, Emmeline auf ihn zu und neben ihr Vivian.
London, Charing Cross Road, 21. Oktober 1912, Montag
» Schau mal, Vivian«, sagt Emmeline zu ihr, » da ist mein Freund!« Und zu dem Mann mit den abstehenden Ohren sagt sie: » Hallo, Randolph! Was machst du hier?« Sie geben sich die Hand. » Meine Freundin Vivian! Ihr kennt euch wahrscheinlich vom Sehen, oder?«
Vivian zögert: » Kann sein, bin nicht ganz sicher. Freut mich jedenfalls!« Aha, denkt sie, immerhin kein Holzbein. Sie lacht ihn an.
» Freut mich auch, Miss Vivian«, sagt er mit einer leichten Verbeugung, » Randolph Drummond, wenn Sie gestatten.«
Er ist groß und schlank, hat rotblonde, leicht gelockte Haare und große Ohren. Er kommt ihr vage bekannt vor, aber sie weiß nicht, woher. Vielleicht wohnt er hier in der Gegend, und sie sind ein paarmal aneinander vorbeigegangen? Na, jedenfalls ist das also Emmelines neuer Freund. Sympathisch scheint er ja zu sein, und schlecht sieht er auch nicht aus. Den Haaren nach könnte er Ire sein, aber er rollt das R ein bißchen wie ein Schotte.
» Was habt ihr vor?«, fragt er Emmeline. »
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