Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
Aufnahmen davon und noch zwei von der ganzen Hafenanlage. Und dann eine von Vivian.
Am südlichen Brückenkopf angekommen, gehen sie an den Gleisen entlang und finden einen Trampelpfad, der sich unter Bäumen vom Bahndamm hinunterwindet, bis er das Niveau der Uferstraße erreicht.
Sie kehren zum Auto zurück. Die Buben sind verschwunden, aber der Aufpasser, ein etwa zwölfjähriges Kerlchen mit schmutzigem Gesicht, ist noch da und wartet auf sein zweites Sixpencestück. Das bekommt er und tippt sich zum Dank mit der Faust an die Stirn. Seiler setzt sich hinters Steuer, öffnet den Benzinhahn und schaltet die Zündung ein, dann betätigt er den elektrischen Anlasser, einen sogenannten Bosch dual ignition magneto, auf den der Vermieter mit besonderem Stolz hingewiesen hat. Der soll ihm das Ankurbeln ersparen. Zwei-, dreimal knallt es wie ein Gewehrschuß, der Motor stottert kurz, dann knattert er los und bläst eine eindrucksvolle Rauchwolke aus dem Auspuffrohr.
Sie biegen in einen holprigen Karrenweg ein, der an der Küste entlang in Richtung Hounds Point führt. Der Wagen schaukelt auf seinen weichen Blattfedern hin und her, fährt sich aber gut. Am Strand finden sie einen schönen, schattigen Platz für ein Picknick und halten an, schade nur, daß sie nichts zu essen und trinken dabeihaben.
Vor ihnen dehnt sich die weite Wasserfläche, blau und silbern im Sonnenglanz. Ein paar Küstensegler mit lohfarbenen Segeln sind unterwegs, ein rostiger Fischdampfer kommt von der Nordsee herein, und weiter draußen zieht die Rauchfahne eines Frachters vorbei. Aber dort lagert eine breite Wolkenbank, die rasch höher wächst, Quellwolken, deren Köpfe in der Sonne weiß leuchten, aber darunter von einem düsteren Grau sind.
» Wir kriegen ein Unwetter«, sagt Seiler und schnuppert in die Luft, » und ich glaube, es kommt ziemlich schnell.«
Bald verdecken graue Schleier die Sonne. Ein kühler Wind kommt auf, riffelt das Wasser des Forth und färbt es grau.
Vivian friert, und reichlich hungrig sind sie inzwischen auch. Seiler klappt das Verdeck des Wagens hoch, zieht es nach vorn und schnallt es an der Windschutzscheibe fest. Dann fahren sie nach Cramond zurück.
Im Hotel bestellen sie sich ein Abendessen und für später ein heißes Bad. In ihrem Zimmer finden sie ein Sträußchen weißer Hydrangea auf dem Tisch, ein Gruß der freundlichen Wirtin für die Jungvermählten.
Vivian kichert. » Nein, wie nett! Weißt du, daß das hier oben der traditionelle Brautstrauß ist? Wie heißen die auf deutsch? Hortensien?«
Später, als sie zu Bett gehen wollen, grummelt ferner Donner. Seiler öffnet das Fenster und lehnt sich hinaus. Der Wind ist stärker geworden, rauscht im Laub der Bäume und wirbelt Blätter herum. Der Himmel ist dunkel, und kein einziger Stern ist zu sehen. Vom Firth of Forth her wetterleuchtet es und erhellt für Augenblicke tiefhängende, rasch treibende Wolken. Er überlegt, ob er die Läden schließen soll, läßt es aber sein, solange das Wetter nicht zu stürmisch wird. Er macht das Fenster wieder zu und läßt auch die Vorhänge, wo sie sind. Hier ins Dachgeschoß kann ohnehin niemand hereinsehen. Dann kleidet er sich aus und schlüpft ins Bett, während Vivian, schon im Nachthemd, das Gaslicht löscht. Sie zieht sich mit einer fließenden, raschen Bewegung das Hemd über den Kopf, eine reizvolle Silhouette vor der etwas helleren Wand. In diesem Augenblick blitzt es. Weiß leuchtet ihr nackter Leib auf, schlank und betörend wie die Jugendstilstatue einer Elfenfee, kaum einen Lidschlag lang, dann herrscht wieder Dunkelheit. Nur das rote Nachbild ihrer Gestalt glüht vor seinen Augen, und im selben Moment kracht der Donnerschlag, daß die Scheiben klirren. Mit einem erschrockenen Schrei flüchtet sie zu ihm ins Bett und drängt sich an ihn.
Berwick upon Tweed, 20. Oktober 1912, Sonntag
Vier Tage sind sie in Cramond gewesen und haben mehr Zeit im Hotelzimmer verbracht als draußen auf Erkundungstour. Die wenigen Gäste, die sich abends zum Essen in der Gaststube eingefunden hatten, zwinkerten sich schon zu, wenn sie dort Platz nahmen, und Seiler hat gestern gehört, wie einer zum anderen sagte: » Schau, da kommt unser Liebespärchen!«
Man war freundlich gewesen und hatte sie in Ruhe gelassen, aber es war nicht zu übersehen, daß Fremde hier recht selten waren und ein willkommenes Gesprächsthema bildeten. Es war Zeit zu verschwinden, fand Seiler.
Jetzt fahren sie mit dem Wolseley nach Newcastle,
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