Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
Hättet ihr Lust, euch zu einer Tasse Tee einladen zu lassen? Vielleicht bei Gatti’s?«
Emmeline wiegt den Kopf. » Ja, warum nicht? Ich habe Mittagspause und wollte irgendwo eine Kleinigkeit essen. Vivian kam grad vorbei, und da hab ich sie nach Hause begleitet.« Sie stupst Vivian an. » Kommst du mit? Oder mußt du im Laden helfen?«
Sie schiebt die Unterlippe vor. » Hm. Nein, Vater wird auch ohne mich zurechtkommen. Wenn ich euch nicht störe?«
» Alsdann«, sagt Emmys Freund fröhlich, » kehren wir um und gehen zu Gatti’s! Ich könnte ein Schinkensandwich vertragen.«
London, Temple, 22. Oktober 1912, Dienstag
So, jetzt habe ich gestern nicht nur Emmeline, sondern auch Vivian Peterman meinen richtigen Namen gesagt, denkt Drummond auf dem Weg zu Kells Büro, einer Verdächtigen, die vielleicht für die Deutschen spioniert. Ein ernster Verstoß gegen die Geheimhaltung, der vermutlich meine sofortige Entlassung aus dem Dienst zur Folge hat, wenn das Büro davon erfährt. Nicht auszudenken, was Melville dazu sagen würde.
Aber es ging nicht anders, denn ich liebe Emmeline, und zum Teufel mit diesem Beruf, wenn ich sie dafür haben kann. Es wird das beste sein, wenn ich den Dienst quittiere, bevor das bekannt wird und ich einen Aktenvermerk bekomme oder gar verurteilt werde. Denn das kann bedeuten, daß ich keine anständige Arbeit mehr kriege.
Die Begegnung mit Emmeline und Vivian war eine verzwickte Angelegenheit gewesen. Während der Unterhaltung im Café hatte er erfahren, daß Vivian bei Emmeline übernachtet hatte. Dadurch also war sie der Überwachung entgangen. Von einer Reise oder einem Aufenthalt in Kings Cross Station hatte sie nichts gesagt. Falls sie wirklich mit Seiler unterwegs gewesen war, würde sie es wohl ohnehin verschweigen.
Die ganze Zeit hatte er befürchtet, Vivian könne sich erinnern, wo sie ihn schon gesehen hatte. Nicht nur im Cecil Court, wo er den Buchladen observieren mußte, das würde sich leicht als Zufall abtun lassen, sondern vielleicht auch in Kiel. Und er war im Polizeigericht gewesen, als Melville sie nach der Suffragettendemonstration kurz verhört hatte. Das wäre ganz schlecht. Sie müßte dann zumindest annehmen, daß er etwas mit der Polizei zu tun habe.
Glücklicherweise schien sie nicht weiter darüber nachzudenken. Sie hat einen recht aufgekratzten Eindruck gemacht, viel gelacht und schien überhaupt ziemlich fröhlich zu sein. Er war sich sicher, daß das mit Seiler zusammenhing. Der Mann ist also womöglich in London oder war es zumindest bis gestern.
Er hatte nach dem Besuch bei Gatti’s hin und her überlegt, ob er zu Emmeline gehen und ihr reinen Wein einschenken solle. Ihr offenbaren, für wen er arbeitet und was er weiß. Nach wie vor hält er Vivian für unschuldig. Aber sie hat sich wohl in Seiler verliebt, und bei dem hat er seine Zweifel. Und jetzt ist da auch noch Emmeline und sein Verhältnis zu ihr. Für Melville wäre das schlicht und einfach Landesverrat. Das mußte er geheimhalten, um jeden Preis, und daraus folgte, daß es in seinem Interesse lag, den Verdacht gegen Vivian zu zerstreuen. Im schlimmsten Fall sogar, die Ermittlungen zu sabotieren.
Er erinnert sich daran, wie er gestern dem harmlosen Geplauder der beiden Frauen zugehört hat; er hat dabei gelächelt, wenn es angebracht schien, und sonst geschwiegen. Erst einmal wollte er sich klar darüber werden, wie er Clarke seine Abwesenheit erklären könnte.
Die Lösung dafür hatte sich ganz von selbst gefunden. Nachdem sie gegessen hatten, mußte Emmeline zurück zur Arbeit. Vivian sagte, sie werde mitkommen und dann weiter nach Hause gehen. Er begleitete sie also bis zum Haus der Lady Couriers, verabschiedete sich dort von ihnen und überquerte die Straße. Emmeline verschwand im Eingang, und Vivian ging weiter zum Cecil Court. Er kehrte auf die andere Straßenseite zurück, folgte ihr in großem Abstand bis zur Ecke und wartete dort, bis sie den Bookshop betrat. Dann ging er am Laden vorbei und traf Clarke, der immer noch beim Salisbury wartete. Clarke hatte Vivian natürlich bemerkt, und Drummond berichtete ihm, daß er sie an der Charing Cross gesehen hatte, kaum daß Clarke zum Essen gegangen war. Er sei ihr die ganze Zeit gefolgt, sie habe sich aber mit niemandem getroffen, sondern sei nur in den Anlagen am Embankment spazierengegangen. Nun jedenfalls sei sie zu Hause.
Und Clarke hatte gesagt: » Ich glaube ohnehin nicht, daß das junge Ding mit Spionage etwas zu tun hat.
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