Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
reißt Seiler aus seinen Gedanken, » ich hab ja ganz vergessen, den Engländern den Plumpudding zu geben! Seiler, den nehmen Sie, ja, dann haben Sie wenigstens etwas Englisches zum Weihnachtsabend.«
London, The Dover Castle, 27. Dezember 1912, Freitag
» In vier Tagen, zum Jahresende«, sagt Clarke zu Drummond, » verlasse ich das Bureau. Ich habe keine Lust mehr.«
Drummond starrt ihn an. Clarke geht? Und so plötzlich?
» Wirklich?«, sagt er. » Das tut mir leid, Stanley. Hast du denn was Besseres in Aussicht?«
Clarke zuckt die Achseln, was Drummond ganz und gar unenglisch vorkommt. » Ja, aber das ist noch nicht spruchreif, nicht mal dir gegenüber, verzeih. Ich will nur diesen Blödsinn nicht mehr mitmachen.« Er fingert eine neue Cheroot aus der Schachtel, steckt sie in den Mund und reißt ein Streichholz an. Nach einem tiefen Zug sagt er durch den ausgeatmeten Rauch: » Das wird doch alles langsam zu einem Pogrom hier. Da werden Leute ausspioniert oder gar festgenommen, bloß weil sie aus Deutschland stammen oder vielleicht mal dort waren. Dabei haben wir nichts in der Hand, gar nichts. Den armseligen Friseur, der Briefe weiterleitet, ein paar Spinner, die auf eigene Faust herumschnüffeln, das ist es doch schon.« Er sieht sich um, ob jemand zuhört, und fährt etwas leiser fort: » Hatte ein Gespräch mit einem von der militärischen Aufklärung im War Office, Abteilung MO mit einem kleinen t in Klammern dahinter. Die spionieren drauflos, was das Zeug hält! Du hast doch von den Plänen für den Kriegsfall mit Deutschland gehört?«
Drummond nickt. » Ja, schon, aber nur vage.«
» Nun, jedes Kind weiß, daß die Deutschen, wenn sie sich mit den Franzosen in die Haare kriegen, in Belgien einmarschieren wollen. Das ist ihr Schlieffen-Plan, so heißt der. Da geht es darum, daß sie nicht den starken Festungsgürtel der Franzosen hinterm Rhein angreifen wollen, weil sie sich daran wahrscheinlich die Zähne ausbeißen würden. Also wollen sie die Froschfresser da packen, wo sie verwundbar sind, nämlich an der belgisch-französischen Grenze. Von dort wollen sie dann auf Paris marschieren und die Franzosen in ihren Festungen sitzenlassen.«
» Aha. Deswegen soll unsere Expeditionsarmee in Belgien landen und dort den Franzosen helfen, oder?«
» Richtig. Und in Belgien kundschaften unsere Leute für diesen Fall alles aus. Und zwar so, daß das bißchen Spionage der Deutschen bei uns daneben wie ein Kinderspiel aussieht.«
Clarke grinst. » Die machen das mit dem Fahrrad, und Wilson, unser Director of Military Operations, strampelt voraus. Alle in Zivil, versteht sich, Breeches mit Hosenklammern. Mehr als fünfzehn Radtouren soll er bis jetzt mit seinen fröhlichen Jungs durch Belgien gemacht und jeden Dreck dabei aufgezeichnet haben: jedes einzelne Dorf und wieviel Soldaten es unterbringen kann und wie viele Pferde. Wie viele Kanonen und Wagen auf dem Dorfanger geparkt werden können. Wo Kirchtürme und Wassertürme gute Aussicht bieten. Welche Weiden eingezäunt sind und womit. Länge und Höhe der Stacheldrahtzäune abgemessen. Es ist eine endlose Liste.«
Er nimmt einen kräftigen Schluck Bier und wischt sich mit dem Handrücken den Schaum aus dem Schnurrbart.
Drummond staunt: » Das hat er dir alles erzählt?«
» Ja, und noch viel mehr. Der Report mit ihren Erkundungsergebnissen besteht bis jetzt aus drei Bänden, jeder dicker als eine Männerfaust und vier Kilo schwer. Nennt sich Belgium: Road, River and Billeting Reports.«
Er schüttelt lachend den Kopf. » Mein Kollege hat gesagt, zu einem guten Drittel enthält der Bericht äußerst detaillierte Informationen über Fahrradwerkstätten und Verleiher. Zum Beispiel soll es in Barbençon zwei Motor and Bicycle Shops geben, die Dunlop-Reifen auf Lager haben und jede Reparatur ausführen können. Dann gibt es eine Liste mit Belgiern, die als auskunftswillig bezeichnet werden. Ein gutes Drittel von denen arbeitet in Fahrradreparaturläden. Was für ein Zufall, nicht wahr?«
Drummond pfeift durch die Zähne: » Die müssen eine Menge Fahrräder zuschanden geritten haben.«
» Darauf kannst du wetten, Randolph.«
Sie trinken die Gläser leer und ziehen ihre Mäntel an. Da fällt Clarke noch etwas ein. » Ach so, letzten Sonntag bin ich übrigens der Petermanschen Tochter nachgeschlichen. Hab mich den ganzen Tag im Cecil Court herumgetrieben, na ja, die meiste Zeit im Salisbury, um ehrlich zu sein. War ja saukalt, kein Mensch unterwegs.
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