Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
Jedenfalls, als ich grade mal rausging, sah ich die Kleine aus dem Laden kommen und bin ihr nach. Sie ist zum Embankment. Bei Cleopatra’s Needle ist sie stehengeblieben und hat ins Wasser gestarrt. Ich war auf der anderen Straßenseite und hab gefroren. Schließlich ist es mir unheimlich geworden. Bekam so ein Gefühl, daß sie vielleicht ins Wasser springen wollte. Wär ja schade drum, so ein hübsches Mädel. Also bin ich hin und hab sie angesprochen. Sie hat mich angeguckt wie eine Schlafwandlerin. Nein, nein, hat sie gesagt, sie sei nur ganz in Gedanken gewesen. Dann ist sie heimgegangen, aber sie hat sich noch bedankt, daß ich mir Sorgen gemacht habe. Sah mir nach Liebeskummer aus. Weißt du da was darüber?«
» Nicht direkt«, sagt Drummond, » aber ich weiß, daß Melville ihre Briefe an Seiler unterschlägt und die von ihm an sie auch. Schon seit Ende November. Er hat sie auf Kells Schreibtisch liegenlassen, da hab ich sie gesehen.«
Clarke kneift die Augen zusammen. » Dieser Drecksack! Das sieht ihm ähnlich. Schätze, er will das Mädel weichkochen, damit sie ihren Freund verrät.«
» Könnte sein«, meint Drummond, » oder er will Seiler damit herüberlocken. Der wird sich ja auch Sorgen machen und wissen wollen, warum sie ihm nicht mehr schreibt.«
Sie verlassen das Lokal. Es weht ein eisiger Wind, Schneeflocken wirbeln umher. Drummond schlägt den Mantelkragen hoch und drückt sich die Mütze tiefer in die Stirn. Ich muß mit Emmeline über Vivian reden, denkt er, und ihr das mit der unterschlagenen Post sagen.
Clarke ist immer noch beim Thema. » Weißt du, Randolph, ich bin sicher, daß unsere Leute inzwischen auch in Deutschland ganz schön aktiv sind. Natürlich nicht per Fahrrad und hoffentlich etwas raffinierter. Das macht wahrscheinlich Cummings Foreign Section, stromert in den Häfen herum und klappert die Küsten ab, Nordsee und Ostsee.«
» Ja, das denke ich auch«, erwidert Drummond, » aber ich frage mich schon lange, ob die Deutschen überhaupt einen richtigen Geheimdienst haben.«
1913
London, Gatti’s Café, 15. Januar 1913, Mittwoch
Emmeline legt ihre Hand auf seine und fragt: » Also, was ist das für eine dumme Geschichte, die du mir erzählen wolltest, Randolph?«
» Nun«, sagt Drummond, » es hat mit dem Home Office zu tun, und eigentlich bin ich ja zum Schweigen verpflichtet.« Er hat lange überlegt, wie er ihr das mit Vivians Post sagen soll, ohne in Verdacht zu geraten, selbst beim Geheimdienst zu arbeiten. » Aber in diesem Fall muß ich wohl eine Ausnahme machen, weil es deine Freundin Vivian betrifft.«
Emmeline schaut ihn mit großen Augen an. » Was? Vivian? Hat das etwas mit dem Ärger zu tun, den ihr Vater mit der Polizei hatte?«
Drummond nickt. » Ich denke, ja. Paß auf: Ich hab mich vor ein paar Tagen mit einem Kollegen unterhalten, der in einer anderen Abteilung arbeitet. Dort beschäftigen sie sich mit der Aufsicht über die Metropolitan Police, Einhaltung der Vorschriften und ähnlichem Kram. Irgendwie kam er auf einen Beschwerdefall gegen polizeiliche Willkür zu sprechen und erwähnte dabei den Petermanschen Buchladen. Mr. Peterman verlangt ja Schadenersatz für die Durchsuchung, die seinerzeit bei ihm durchgeführt worden ist und zu keinem Ergebnis geführt hat. Na, jedenfalls sagt der Kollege, in dem Zusammenhang gebe es ein neues Problem. Es scheint, daß die Post seiner Tochter und die von ihrem deutschen Freund von Scotland Yard überwacht und vermutlich geöffnet wird.«
Emmeline zieht ihre Hand von seiner zurück und sagt erschrocken: » Was? Das ist ja ungeheuerlich! So etwas dürfen die doch gar nicht!«
Drummond beugt sich vor und dämpft seine Stimme. » Hör zu, es kommt noch schlimmer. Durch irgendein Versehen sollen diese Briefe dann nicht weitergeleitet worden sein, sagt mein Kollege, weder an sie noch an den Deutschen. Wie das Home Office davon erfahren hat, weiß ich nicht. Aber der Kollege glaubt, daß Scotland Yard die Briefe verschwinden läßt und die Angelegenheit dann einfach abstreitet. Wenn sie die Briefe, ich weiß nicht, wie viele es sind, jetzt nachträglich zustellen würden, käme das ja einem Eingeständnis gleich. Postunterschlagung ist immerhin ein Verbrechen.«
» O Gott«, sagt Emmeline, » wie lange geht denn das schon?«
» Angeblich schon seit einem Vierteljahr«, meint Drummond.
» Kannst du da nicht irgendetwas machen? An die Briefe rankommen oder so?«
» Nein, leider nicht. Es ist ja nicht in
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