Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
sackt wieder ins nächste Tal hinab. Die Maschinen hämmern, die Lüfter surren, in der Bilge unter den Flurplatten schwappt das Wasser hin und her.
Im Lauf des Vormittags werden die Bewegungen heftiger. Das Barometer in der Zentrale fällt seit Sonnenaufgang, jetzt zeigt es bereits 712,5.
» Sturmtief«, sagt Traebert, » hätte mich auch gewundert, um diese Jahreszeit.«
Um zwölf Uhr macht sich Seiler fertig zur Nachmittagswache. Anzug Ölzeug und Südwester. Oben ist es gräßlich. Wind Westnordwest 8 und auffrischend, Seegang 6 bis 7. Jagendes Gewölk. Grau und bösartig rollen die Wellenberge heran. Der Sturm heult und schrillt und peitscht ihre Kämme zu fliegender Gischt. Wenn man den Mund nicht fest geschlossen hält, bläst er einem die Backen auf.
Hier über dem Flach mit seinen Wassertiefen von nur 18 bis 20 Metern türmen sich die Seen zu gewaltiger Höhe auf. Im Wellental sind sie auf dem Turm für Minuten vor dem rasenden Wind geschützt. Dann wird das Boot emporgetragen, immer weiter und steiler, bis der Bug in den Himmel zu ragen scheint. Hier packt sie der Sturm mit wahnsinnigem Brausen, peitscht ihnen hochgerissenes Wasser ins Gesicht, will ihnen die Südwester vom Kopf reißen. Jetzt kippt das Boot über den Kamm, die Schrauben mahlen sekundenlang ins Leere, bis der Bug wuchtig in die See kracht. Abwärts geht es, schwindelerregend steil. Brecher waschen rauschend übers Vorschiff, branden am Turm hoch. Schon wandert der nächste Berg heran, glasig graugrün, schaumgeädert und furchterregend hoch. Beim Hochsteigen versucht das Boot auszubrechen, der Rudergänger muß all seine Kraft aufwenden, den Bug gegen die Seen zu halten.
Die mit Gummituch bespannte Brückenreling bietet so gut wie keinen Schutz. Die Luft ist von Wasserstaub erfüllt, und die Sicht wird immer schlechter. Die Zeißgläser sind nicht mehr sauberzuhalten. Flugwasser rinnt in die Krägen, durchweicht die Lederhandschuhe. Ab und zu schlägt eine See bis auf die Turmplattform, längst sind die Seestiefel voll Wasser. Der Rudergänger vorn ist am schlimmsten dran. Spieß läßt schließlich auf das Steuer im Turm umkuppeln und schickt ihn nach unten. Mit Tauen binden sie sich gegenseitig am Sehrohrbock fest, damit keiner über Bord gewaschen wird. Seiler ist völlig durchnäßt und friert. Seine Lider brennen vom Salzwasser, jeder einzelne Muskel schmerzt vom Festhalten. Das Brausen in den Ohren wird allmählich unerträglich.
Endlich sind sie über die flache Doggerbank hinweg. Der Kommandant läßt tauchen. Beim Einsteigen prasseln ganze Sturzbäche in die Zentrale hinunter. Die Lenzpumpe springt an und drückt das Wasser außenbords, während sie langsam auf 30 Meter sinken. Hier herrscht Stille, auch wenn sich das Boot noch unruhig bewegt. Seiler schält sich aus dem nassen Zeug und läßt es zum Trocknen in den warmen Maschinenraum bringen.
Im trüben Halbdunkel der Zentrale informiert Weddigen den Ersten, Traebert und die Zentralegasten über ihr Fahrtziel. » Mal herhören! Unsere Reise geht nach Schottland. Wollen einen Blick in den Firth of Forth werfen. Mal seh’n, was die Konkurrenz da so treibt. Durchs Boot weitersagen. Wegtreten.«
Schottland? Donnerwetter! Eine Weile herrscht ehrfürchtiges Schweigen.
Der Erste verteilt Opiumpillen gegen Stuhldrang. » Jede Stunde eine!« Es sind kleine graubraune Kügelchen, ein wenig bitter, aber sonst geschmacklos. Eine nützliche Maßnahme, wenn es nur ein Klosett für dreißig Mann gibt.
Am frühen Abend, inzwischen hat Seiler vier von den Pillen geschluckt, fällt ihm auf, daß sich die Stimmung der Leute verändert hat. Sie sind insgesamt ruhiger geworden, dabei aber durchaus munter und zu Scherzen aufgelegt. Und ihre Augen kommen ihm gerötet vor, jedenfalls das Weiß der Augäpfel. Kommt das vom Opium? Er fühlt sich selbst recht wohl, warm und angenehm gelassen, aber nicht schläfrig, wie er befürchtet hat.
Die Backschafter tragen das Abendessen auf. Es gibt Brot mit Wurst und Tee in 30 Metern Tiefe. Die Unterhaltung dreht sich um Schottland. Schottenröcke, Whisky, Dudelsäcke, den alten Zwist mit den Engländern, fast nur Klischees. Außer Seiler war noch keiner dort, er hält aber den Mund.
Später kann er lange nicht einschlafen. Was macht Vivian? Geht es ihr gut? Denkt sie an mich? Und wie soll ich es anstellen, sie zu treffen? Wie soll ich überhaupt nach London kommen, wo doch bestimmt alle Bahnhöfe scharf überwacht werden? Schickt Steinhauer mich
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