Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
gefahren sind. Danach haben sie sich nicht wiedergesehen. Immer noch keine Nachricht von ihm. Nichts. Hat er ihren Brief nicht bekommen? Vielleicht hat Emmelines Plan einfach nicht funktioniert. Oder sie haben seine Antwort einkassiert, diese Schweine. Daß er ihren Brief bekommen hat und nicht antwortet, mag sie nicht glauben. Oder doch? Die schöne Nacht in dem kleinen Hotel dort in Schottland, als das schreckliche Gewitter war, hat er das alles vergessen? Bedeutet es ihm nichts?
Sie bleibt auf der Schleusenbrücke zu den St. Katherine-Docks stehen und schaut über das schmutzige Wasser des Wapping Basin. Riesige Speicher stehen auf der anderen Seite, sechs Stockwerke hoch, verrußt und häßlich. Lärmende Dampfkräne entladen Frachtschiffe und Schuten, und der Rauch aus den Schornsteinen der Steamboat Wharf senkt sich wie graubrauner Nebel über die Szene. Was für eine düstere Arbeitswelt, denkt sie, und jetzt erst fällt ihr auf, wie dunkel der Himmel geworden ist. Es sieht nach Regen aus, und sie fröstelt.
Sie geht weiter, um die Docks herum, um auf die Smithfield Street zu kommen, durch die der Bus fährt. Der Weg führt durch die krumme Nightingale Lane, in die sich bestimmt noch nie eine Nachtigall verirrt hat, hier, inmitten der London Docks. Ein Fuhrwerk parkt hinter dem anderen, gut ein halbes Hundert, und es riecht nach schwefligem Rauch, öligem Wasser, Zimt und Pferdemist. Eine Menge Arbeiter aus allen Erdteilen schuften zwischen den hohen Lagerhallen, Malaien, Chinesen, Afrikaner, Inder und Iren. Weinfässer, Baumwollballen, Kisten mit Tee, Tabak und Gewürzen werden auf Frachtwagen verladen, und sie muß aufpassen, keinem in die Quere zu kommen. Plötzlich ist es ihr peinlich, daß sie hier so gut gekleidet hindurchspaziert wie eine neugierige Nichtstuerin. Sie wird angestarrt, ein paar pfeifen ihr nach, und einer ruft: » Na, was suchst du denn hier, Schätzchen?« Sie wird rot und geht schneller, verfolgt von Pfiffen und Gejohle. Endlich erreicht sie die Smithfield, gerade als die ersten Tropfen fallen, und stellt sich in die Schlange, die auf den Bus nach Charing Cross wartet.
Am nächsten Morgen liest sie in der Zeitung, am gestrigen Tag sei eine gewisse Joyce Locke wegen des Brandanschlags in Kew Gardens zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden. Der Schaden des niedergebrannten Tea Pavillon sei auf 900 Pfund beziffert worden, das entspreche ungefähr dem Jahreseinkommen eines Rechtsanwaltes. Joyce Locke, wundert sie sich, wir waren doch nur zu dritt? Dann fällt ihr ein, daß Lillie ihr erzählt hat, sie habe bei ihrer Festnahme wegen der eingeworfenen Fensterscheiben einen falschen Namen angegeben. Das würde sie jedesmal so machen. Also ist es wahrscheinlich Lillie, die jetzt ein ganzes Jahr absitzen muß.
Firth of Forth, 8. März 1913, Samstag
Das Boot läuft wie geplant in der Neumondnacht zum 8. März in den Firth of Forth ein. Die Nacht ist schwarz, aber klar, Sterne funkeln am Firmament. Die See hat sich beruhigt, eine lang rollende Dünung ist alles, was von dem Sturm vorgestern geblieben ist. Viel zu hell weht der Petroleumrauch davon.
Voraus ist bereits das Leuchtfeuer auf der Insel Inchkeith zu sehen, ein Lichtblitz alle 30 Sekunden. Bei klarer Sicht auf 21 Seemeilen sichtbar, heißt es im Leuchtfeuerverzeichnis Britische Inseln. Sie müssen an der Nordseite der Insel vorbei, um im tiefen Wasser zu bleiben. An Steuerbord blinzeln schwach die Lichter der Küste, wie Sterne, die heruntergefallen sind. Je weiter sie in die Forth-Mündung eindringen, desto glatter wird die See. Dunst liegt wie feiner Rauch auf dem Wasser. Im Lee der Küste verdichtet er sich stellenweise zu Nebelschwaden.
Jetzt muß die Inselkette zwischen Inchcolm und Inchmickery passiert werden. Hier gibt es eine tiefe Stelle, die Karte zeigt 25 Faden an, das sind etwa 45 Meter. Sonst ist die Fahrrinne im Schnitt etwa 27 Meter tief. Der Kommandant läßt auf E-Motoren umkuppeln, um den verräterischen Rauch loszuwerden. Auch könnte der Lärm der Ölmaschinen gehört werden. Die Lüftungsmasten werden umgelegt, und es wird vorgeflutet, um im Notfall schneller tauchen zu können. Eine Tonne Restauftrieb, jetzt ragt nur der Turm noch aus dem Wasser.
Weddigen würde Seiler lieber gleich absetzen, falls etwas schiefgeht. Seiler will aber während der Erkundung noch an Bord bleiben. Er kennt immerhin die Lage der Fahrwassertonnen jenseits der Brücke, wenigstens ungefähr. Jetzt müßten sie die bewaldete
Weitere Kostenlose Bücher