Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
feuchte Nebel umfängt ihn wieder. Ganz hinunter auf eine Straße, die hier die Bahnlinie unterquert. Da kann er nicht mehr. Er setzt sich ins nasse Gras und ringt nach Atem.
Beim Hellwerden muß er sich in Rosyth umsehen. Am besten vom Südufer aus, westlich von Queensferry. Soweit er sich erinnert, ist die Küste dort bewaldet. Ein kleines Fernglas hat man ihm mitgegeben, das sollte genügen, die Reede zu überblicken und vorhandene Schiffe zu identifizieren. Falls nicht wieder so ein dicker Nebel auf dem Wasser liegt.
Und wie kann er sich besser tarnen? Wenn er angehalten wird, wird er mit der Baedeker-Geschichte nicht gut dastehen. Keinesfalls darf man dann belastendes Material bei ihm finden. Er wird sich Notizen verkneifen und alles im Kopf behalten müssen. Auch die Kamera sollte er lieber nicht verwenden, obwohl es sich hier lohnen würde. Und die Pistole? Wegwerfen oder lieber nicht?
Schlafen will er nicht, hier unter den tropfenden Büschen, lohnt auch nicht mehr. Er geht durch die Unterführung und folgt auf der anderen Seite einem Fußweg, der durch ein Wäldchen schräg zur Küste zu führen scheint. Er will einen weiten Bogen um die Ortschaft machen und dann hoffentlich beim ersten Tageslicht einen guten Beobachtungsplatz finden.
Endlich geht die Sonne auf, und ein frischer Nordwest bläst den Morgennebel weg. Weg ist auch die bleierne Müdigkeit, die ihn auf dem ganzen langen Fußmarsch hierher umfangen hat. Zum Frühstück kaut er ein Stück Hartbrot mit Speck vom U-Boot-Proviant und trinkt einen Schluck kalten Tee aus der Flasche dazu.
Hier, zehn Meter über dem Wasserspiegel und gut gedeckt durch Gebüsch, hat er einen hervorragenden Blick auf die Reede von St. Margaret’s Hope.
Ein ganzes Schlachtgeschwader liegt hier, sieben gigantische Dreadnoughts in zwei Reihen nebeneinander. Dazu vier Kleine Kreuzer und, näher bei der Brücke, mindestens fünfzehn Zerstörer. Von U-Booten ist nichts zu sehen.
Durchs Fernglas besieht er sich die Schlachtschiffe. Jetzt wäre der aktuelle Weyer, das Taschenbuch der Kriegsflotten 1913, nützlich, aber so etwas darf er natürlich nicht mit sich führen. Allerdings hat er während der Wochen in Berlin die Schattenrisse und Photographien der britischen Schiffe gründlich studiert. Das erste Schiff der entfernteren Reihe kann er auch so identifizieren, an seiner unverkennbaren Silhouette. Es ist das Schlachtschiff Neptune mit den auffälligen Brücken, die vordere und achtere Aufbauten miteinander verbinden und über die mittleren Geschütztürme hinwegführen. Die beiden Schiffe dahinter sind teilweise verdeckt, aber es dürfte sich um dessen Schwesterschiffe Hercules und Colossus handeln.
Die vier Dreadnoughts davor mit dem einzelnen Dreibeinmast zwischen den beiden Schornsteinen müßten Orion, Conqueror, Monarch und Thunderer sein, ganz neue Schiffe, vermutlich zum Teil noch im Ausbildungsverhältnis.
Durchs Glas lassen sich Details erkennen, wie die stählern schimmernden Walzen der Torpedoschutznetze entlang der Bordwände, darunter die Reihe der Spieren, mit denen die Netze ausgebracht werden. Auf dem ihm am nächsten liegenden Schiff erkennt er die Mannschaft, auf dem Achterdeck angetreten, dabei auch die roten Röcke der Royal Marines. Rot tragen sie nur bei feierlichen Anlässen. Richtig, es ist ja Sonntagmorgen, es wird die traditionelle Verlesung der Kriegsartikel sein, mit anschließendem Gottesdienst. Der Wind trägt Trommelgerassel und das Quieken der Pfeifen herüber. Im Top des Schlachtschiffes weht die Flagge eines Vizeadmirals.
Er setzt das Glas ab und starrt auf die gepanzerten Riesen. Dunkelgrau und bedrohlich liegen sie da, Boote und Leichter an den Seiten. Rauch kräuselt aus den Schornsteinen, sie haben also Dampf auf.
420 Seemeilen sind es von hier bis Helgoland, überlegt Seiler. Bei 15 Knoten Fahrt würde das Geschwader gerade mal 28 Stunden brauchen, um vor der Insel zu stehen, oder vor Wilhelmshaven.
Da ist ihm, als hörte er Stimmen. Gibt es hier Streifen, die die Ufer abpatroullieren? Oder sind es Spaziergänger? Er zieht sich tiefer ins Gebüsch zurück und duckt sich. Durch die noch unbelaubten Zweige sieht er zwei Männer. Einer von ihnen trägt einen schottischen Kilt, der andere hat eine Schrotflinte umgehängt. Vielleicht wollen sie Hasen jagen, oder Rebhühner. Sie unterhalten sich und zeigen kein Interesse an ihrer Umgebung. Nach einer Weile kommen sie außer Sicht.
Er atmet auf und wendet sich wieder dem Wasser
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