Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
beäugt. Am Bahnhof ißt er zu Mittag, während er auf den Zug nach Glasgow wartet. Die Bahnhofsrestauration notiert er sich im Baedeker-Stil und schreibt dazu: Essen anspruchslos, aber gut, 1 Shilling.
Soweit ist alles gutgegangen. Nicht einmal ein einziger Constable läßt sich blicken. Nur die Pistole macht ihm Sorgen. Sie ist zu groß und zu schwer für die Jackentasche, deshalb verfrachtet er sie wieder in den Rucksack. Er kann sich nicht entscheiden, was er mit dem verflixten Ding machen soll. Falls ihn die Polizei überprüfen sollte und man fände sie bei ihm, sähe es böse aus. Andererseits könnte sie ihm vielleicht einmal aus einer Klemme helfen.
London, Petermans Bookshop, 10. März 1913, Montag
Draußen regnet es, ein grauer Tag. Kaum Leute in der Gasse, und auch keine Constables, die auf ihr Haus zumarschieren. Vivian schließt das Wohnzimmerfenster wieder und geht unruhig auf und ab. Sie hat versucht, sich mit Zeichnen abzulenken, aber das hat nicht geklappt. Auch zum Lesen hat sie keine Lust. Sie ist einfach zu nervös. Sie steckt sich eine Zigarette an, blättert in einer Modezeitung herum und legt sie wieder beiseite. Die Zigarette glimmt vergessen im Aschenbecher weiter. Eine Weile lutscht sie an ihren Fingerspitzen und starrt mit leerem Blick vor sich hin.
Unten im Büro klingelt das Telefon. Sie hastet die Treppe hinunter, immer zwei Stufen auf einmal, und nimmt den Hörer ab. Es ist Vaters Rechtsanwalt. Er teilt ihr mit, daß Mr. Peterman heute morgen, wie angekündigt, tatsächlich entlassen worden und wahrscheinlich schon auf dem Weg nach Hause sei. Sie kann es kaum fassen und bedankt sich überschwenglich. In aller Eile deckt sie den Tisch im Eßzimmer und bereitet ein kräftiges Frühstück für ihn vor, legt Eier und Speck bereit und öffnet eine Dose Bohnen. Sie setzt Wasser auf und will Tee machen, dann fällt ihr ein, daß sie im Gefängnis auch nur immer Tee bekommen hat, noch dazu die billigste Sorte und viel zu dünn. Vater wird sich nach einer Tasse Bohnenkaffee sehnen. Sie mißt Kaffeebohnen ab, setzt sich, klemmt die Kaffeemühle zwischen ihre Knie und fängt an zu mahlen.
Eine Viertelstunde später kommt er durch die Ladentür, die sie extra aufgeschlossen hat, und sie fallen sich in die Arme. Nach fast zehn Wochen hat man ihn endlich aus dem Gefängnis entlassen. Das Gericht habe den Haftbefehl aufgehoben, unter anderem wegen Constable Roberts Aussage, Peterman habe am 27.Oktober 1912 einen gewissen Cox wegen Spionage angezeigt. Der habe sich später allerdings als der Schriftsteller William Le Queux entpuppt. Le Queux hatte behauptet, er sei vom Secret Service beauftragt worden. Das Gericht glaubte es ihm nicht und wies darauf hin, daß eine Institution dieses Namens nicht bekannt sei. Anscheinend hatte der Schriftsteller auf eigene Faust versucht, den als Spion verdächtigten Peterman zu überführen, indem er ihm mit einem von der Navy entliehenen Buch eine Falle stellen wollte. Er wurde deshalb zur Zahlung einer Geldbuße von 20 Pfund verurteilt. Eine Anklage gegen ihn war erwogen worden, wurde aber fallengelassen.
Vivian staunt, wie sachlich ihr Vater all das berichtet. Seine Wut ist trotzdem zu spüren, sie gilt vor allem Le Queux, von dem er niemals ein Buch verkaufen werde, niemals, so lange er lebe. Lieber gehe die Buchhandlung pleite. Mehrmals will sie seinen Redefluß unterbrechen, wenn er von dem ewigen Gefängnistee und dem schrecklichen Essen berichtet, um ihm von ihren eigenen Erfahrungen zu erzählen. Doch dann besinnt sie sich eines Besseren und beschließt, ihm ihr Attentat auf diesen Morgan und die Folgen fürs erste zu verschweigen. Und von der Brandstiftung mit den Suffragetten kann sie ihm sowieso nie etwas erzählen.
Als der Vater sich genügend Luft verschafft und sein kräftiges Frühstück verzehrt hat, fragt er, ob sie etwas von Seiler gehört habe. Da bricht sie in Tränen aus. Er kommt um den Tisch herum und schließt sie in die Arme. Lange hält er sie fest. Das hat er noch nie getan. Sie spürt, wie gut ihr das tut, aber nach einer Weile merkt sie, wie intensiv der Vater riecht, ja, er stinkt beinahe.
» Vater«, sagt sie, » lass uns Wasser warm machen, ich glaube, du solltest jetzt als erstes ein Bad nehmen, um diesen Gefängnisgeruch loszuwerden.«
Noch am selben Nachmittag öffnen sie gemeinsam den Buchladen. Peterman hängt ein Plakat ins Schaufenster, mit einer Erklärung, daß er nie gegen England spioniert habe und auch jetzt nicht
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