Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
dem Gedanken gespielt. Aber ich glaube nicht, daß es uns im Reich viel besser erginge. Man würde uns dort womöglich als englische Spione verdächtigen, der gleiche Mist, nur umgekehrt. Und dann ist mir Deutschland zu autoritär und auch zu engstirnig. Dort zählt doch nur das Militär.«
Peterman bleibt stehen. » Und schau dir nur mal die konservativen deutschen Politiker an, mit ihren Schmissen und Monokeln, fett und vollgefressen, rechthaberisch und laut. Und alle katzbuckeln«, das Wort sagt er auf deutsch, » untertänigst vor dem Kaiser! Da sind mir die Englischen doch zehnmal lieber.«
Katzbuckeln! Vivian lacht über das Wort. Zu Weihnachten hat ihr der Vater die Originalzeichnung einer Karikatur geschenkt, die 1908 in dem satirischen Wochenblatt Ulk erschienen war und den Titel trägt: In Ehrfurcht erstorben. Sie zeigt leere, fahnengeschmückte Tribünen und Straßenkehrer, die Pferdeäpfel wegfegen. Davor der Berliner Bürgermeister Kirschner im Frack und mit Amtskette, in tief gebückter Haltung erstarrt. Ein Schutzmann spricht ihn an: » Was stehn Sie denn hier noch rum! Prinz August Wilhelm und seine Braut sind ja längst vorbeigezogen!«
» Ich weiß schon«, sagt Peterman, als könnte er ihre Gedanken lesen, » du würdest nur zu gerne nach Deutschland ziehen, um deinem deutschen Offizier näher zu sein.« Er macht eine lange Pause. » Trotz allem, was wir erlebt haben, in England lebt es sich besser, glaub mir.«
Vivian muß sich eingestehen, ihre Verfolgung durch den Geheimdienst scheint tatsächlich aufgehört zu haben. Bis jetzt jedenfalls hat man sie beide in Ruhe gelassen. Der Anwalt hat auch die Schadenersatzforderung endlich durchgesetzt und eine Zahlung von 140 Pfund erstritten, für die kaputte Türe und andere Schäden. Der Vater hat auch gehört, auf Bitten der Familie Cecil-Porter habe sich sogar der höchste Offizier der Royal Navy für ihn eingesetzt, nämlich der Erste Seelord, His Serene Highness Admiral Prince Louis von Battenberg. Dieser, von deutscher Abstammung, steht allerdings selbst unter Druck. Das weiß Vivian. Bereits 1911, als er zum Zweiten Seelord ernannt worden ist, hatte das wöchentliche Nachrichtenblatt John Bull geschrien: Should a German boss our Navy? Bulldog breed or Dachshound?
» I was a damned German«, soll der Prinz das nachher kommentiert haben. Er gilt als einer der hervorragendsten Offiziere der Navy, aber er hat einflußreiche Neider, die nicht müde werden, seine Loyalität in Zweifel zu ziehen.
Eine ganze Weile gehen sie schweigend nebeneinanderher, bis der Vater auf einmal sagt: » Vivian, Liebes, sei nicht traurig. Jetzt fahren wir erst einmal dieses Jahr wirklich zur Kieler Woche im Juni. Ich hoffe, du wirst es mir nicht noch einmal ausreden wollen wie letztes Jahr. Einmal im Jahr in die alte Heimat, das tut mir gut. Und eine Krankheit wird mir auch nicht mehr dazwischenkommen, ich fühle mich gesund und munter wie der junge Lenz.«
Sie schaut ihn von der Seite an. Ja, er hat recht. Verglichen mit vor einem Jahr, als er gerade aus dem Gefängnis gekommen war, sieht er ausgesprochen gut aus. Mehr Falten, aber sein Gesicht ist fülliger geworden. Die Lungenentzündung, die ihn damals ein paar Tage nach seiner Heimkehr niedergeworfen hat, hat er längst überstanden. Das sei die Quittung für die Aufregung und den Gefängnisaufenthalt, hatte Dr. Rosenblatt gesagt. Und so war es gekommen, daß Vivian ihren Adrian schon seit einem Jahr nicht mehr gesehen hat. Daß sie sich mindestens einmal pro Woche schreiben, ist kein wirklicher Trost.
» Und dieses Mal nehmen wir Emmeline mit, wenn es dir recht ist«, sagt Petermann. » Dann kann sie auf dich aufpassen.«
Da zwickt sie ihn in den Oberarm und lacht. » Und ich auf sie«, sagt sie, » die wird sich dort bestimmt einen Deutschen anlachen, wetten?«
Kieler Förde, querab von Strande, 23. Juni 1914, Dienstag
Ein grauer, diesiger Morgen. Es nieselt, und eine leichte Brise kräuselt die äußere Förde. Eine schnittige Motorbarkasse hält mit schäumender Bugwelle auf das Bülker Feuerschiff zu. Das Boot ist schneeweiß und blitzsauber, das nasse, dunkle Teakdeck glänzt, alles Messing ist spiegelblank geputzt. Am Heck flattert die Kriegsflagge.
Seiler fährt mit Kapitänleutnant von Hase und dem britischen Marineattaché Captain Henderson dem besuchenden englischen Geschwader entgegen. An Bord der Barkasse ist auch ein Navigationsoffizier, der dem Flaggschiff beim Einlotsen helfen soll. Seiler
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