Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
Yacht dahin, ein hochseetüchtiger Schoner, weit überliegend unter seiner gewaltigen Segelfläche, das helle Tuch von der Sonne durchleuchtet. Ein wundervoller Anblick! Fast hört er den scharfen Bug durchs Wasser zischen, das vibrierende Summen der Wanten und Stage, das Knarren der Hölzer und Blöcke. Jähe Sehnsucht nach der See packt ihn und zugleich der Wunsch, Vivian zu zeigen, wie schön das alles ist. Was, wenn er sie zu einer Segelpartie einladen würde? Ob ihr Vater das erlauben würde? Eine Weile steht er da und träumt. Allein mit ihr in einem kleinen Boot auf dem glitzernden Wasser, wie herrlich das wäre! Und mit dem dazugehörigen Picknickkorb bestimmt ein teures Vergnügen, das einen ordentlichen Batzen seines mageren Gehalts verschlingen würde.
Seufzend macht er sich auf zur Victoria Pier und steigt auf den Dampfer nach Portsmouth, der eine Viertelstunde später ablegt. Diese Fahrt gewährt einen guten Blick über Cowes Road, die Wasserfläche zwischen dem Solent im Westen und dem Spithead im Osten, traditioneller Schauplatz der berühmten jährlichen Cowes-Regatta.
Seine Eltern waren regelmäßig Zuschauer der Regatten gewesen, und zwar stets auf einem der Ausflugsdampfer für privilegierte und zahlungskräftige Personen, der sie so nahe wie nur möglich an die segelnden Yachten heranbrachte. Seit er acht Jahre alt war, hatten sie ihn mitgenommen, und aus dieser Zeit stammt seine Begeisterung für schnelle Schiffe. So war er, kaum war das Abitur in Deutschland bestanden, als Seekadett in die kaiserliche Marine eingetreten und hatte sich auf das Torpedowesen spezialisiert, denn Torpedoboote waren die schnellsten Fahrzeuge, die es auf dem Wasser gab. Im März 1908 war er auf das neue Torpedoboot V 158 kommandiert worden und auf dem Boot geblieben, bis er, zugleich mit seiner Beförderung zum Oberleutnant, im Januar dieses Jahres nach Kiel zur Unterseeboots-Flottille kommandiert worden ist.
Vor Stone Point, ungefähr eineinhalb Kilometer westlich der Fährschiffroute, liegen die drei modernen Großkampfschiffe, die er auf der Hinfahrt gesehen hat. Jetzt kann er sie mit bloßem Auge recht gut erkennen. Dreadnoughts der Bellerophon -Klasse, vermutet er, und schlägt sie im Taschenbuch der Kriegsflotten nach, ein kleiner, aber dicker Band in marineblauem Leinen. Drei Schiffe umfaßt die Bellerophon -Klasse, sieht er, alle 1907 vom Stapel gelaufen, Linienschiffe, aber die Engländer nennen sie Battleships, also Schlachtschiffe. Sie sind von Booten und Leichtern umringt, aber das ist nicht ungewöhnlich. Derart riesige Schiffe werden, solange sie nicht in See sind, ständig versorgt, damit ihre schnelle Einsatzbereitschaft gewährleistet ist. Trinkwasser und Kesselspeisewasser, Viktualien, Kohlen, Teeröl, Schmierstoffe, Farbe und Ersatzteile müssen laufend ergänzt werden. Dazu kommt eine Unzahl kleiner, aber wichtiger Dinge für die achthundertfünfzig Mann Besatzung pro Schiff: Seife, Schlämmkreide, Arzneimittel, Tabak, Briefpapier und so weiter. Auch die Wäsche wird während der Liegezeit an Land gewaschen, und für die Mannschaften werden regelmäßig Ausflüge, Sportveranstaltungen und gelegentlich auch Konzerte oder Filmvorführungen organisiert. Insgesamt macht alles einen ziemlich friedensmäßigen Eindruck.
Er denkt wieder an Widenmanns Bemerkung: Sie werden hier nicht zum Spionieren aufgefordert. Ist das nun Spionage, was er hier treibt? Eigentlich nicht, denn er schaut sich ja nur an, was jeder sehen kann. Keine Gesetzesübertretung im Spiel. Und der Matrose auf der Herfahrt hat ihm ganz von selbst alles über das Fort und seine Bewaffnung erzählt. Das könnte übrigens eine nützliche Information sein, falls das im Admiralstab noch nicht bekannt ist.
So ganz ohne Risiko ist diese Informationsarbeit für den Marineattaché wohl dennoch nicht. Was, wenn man ihn wegen Spionage verhaftet? Der Gedanke beunruhigt ihn. Wochen oder gar Monate in einem englischen Gefängnis? Die Ausbildung unterbrochen, Beförderung entsprechend verzögert. Nein, sagt er sich, warum sollte mich jemand verhaften? Ich darf nur nichts tun, was verdächtig wirkt, etwa vor aller Augen ein Kriegsschiff skizzieren oder Notizen machen. Und schließlich sieht man mir den Deutschen ja nicht an, ich kann ohne weiteres als Engländer gelten. Andererseits arbeite ich zur Zeit an der deutschen Botschaft, das läßt sich leicht herausfinden und würde natürlich einen Strich durch die Ich-bin-Engländer-Rechnung
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