Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
hat. Die erzählt das gleich am anderen Morgen einem Lieutenant der Royal Marines, aber der kümmert sich nicht weiter darum. Helm marschiert inzwischen zum Fort Widley hinauf, fröhlich pfeifend, wie ich mir vorstelle, und fängt an, einen Grundriß der Festung zu zeichnen. Dabei ertappen ihn zwei britische Offiziere und nehmen ihn fest.« Reimers lacht. » Er kam allerdings glimpflich davon. Er saß zwar im Gefängnis bis zu seiner Verhandlung im Dezember, wurde dann aber nur zu einer Geldstrafe von 250 Pfund verurteilt und durfte nach Deutschland zurückkehren.«
Reimers nimmt einen Schluck, beugt sich vor und sagt verschwörerisch: » Ein Grund für das milde Urteil war das Fehlen von Beweisen. Man verhörte das Mädel erst ein paar Tage später, und da stellte sich heraus, daß sie sämtliche Beweise, also seinen Brief, die Postkarten, einen gezeichneten Plan und ein weiteres Notizbuch, einem Unbekannten gegeben hatte, einem angeblichen Mitarbeiter des War Office.«
Er lehnt sich zurück, hebt sein Glas und sagt lachend: » Dieser Unbekannte war ich!«
London, Hope & Anchor, 13. Juli 1911, Donnerstag
Das Pub ist mäßig voll und von Tabakrauchschwaden vernebelt. Drummond, ein volles Glas Porter in jeder Hand, manövriert sich vorsichtig durch das Gedränge am Tresen nach draußen. Vor dem Hope & Anchor stehen wegen des warmen Wetters vielleicht zwanzig Gäste, Arbeiter, Clerks und zwei, drei Gentlemen dazwischen, trinken Bier und schwatzen miteinander. Es ist spät, beinahe halb zwölf, und über den Dächern gegenüber hängt der noch fast volle Mond. Melville nimmt ihm ein Glas ab, sagt » Cheers!« und leert es in einem Zug fast bis zur Hälfte. Drummond nimmt nur zwei Schlucke. Das ist immerhin schon das vierte Pint Porter, und er beginnt, den Alkohol zu spüren. Vor zwei Stunden hat er sich hier mit Melville getroffen, und da hatte der wahrscheinlich schon die doppelte Menge intus, inklusive einiger Scotch, seinem Atem nach. Anzumerken ist ihm aber nichts.
Drummond ist ihm erst dreimal begegnet, ein älterer Herr, mürrisch, die Augen verkniffen, der graue Schnurrbart unter der dicken Nase nikotingelb verfärbt. Er trägt einen dunkelgrauen Anzug, Krawatte mit altmodischem Vatermörderkragen und hat einen zerknautschten grauen Filzhut auf. Mit der Linken stützt er sich auf seinen Spazierstock, in dem sich, wie Drummond gehört hat, ein Stockdegen verbergen soll.
William Melville, Captain Kells Chief Detective, ist Ire und im April einundsechzig geworden. Er hat als Inspektor bei Scotland Yard einige Berühmtheit erlangt, als er 1887 das Jubilee-Komplott gegen Queen Victoria vereitelte. Fünf Jahre später deckte er die sogenannte Walsall-Verschwörung auf und festigte damit seinen Ruf als erbarmungsloser Anarchistenjäger. 1893 wurde er Superintendent von Scotland Yards Special Branch und blieb es zehn Jahre lang, bis er Ende 1903 zur allgemeinen Überraschung seinen Abschied nahm und sich in den Ruhestand zurückzog. In Wirklichkeit jedoch tarnte er damit seinen Übertritt ins War Office, wo er unter dem Namen William Morgan die Leitung der neugegründeten Intelligence Section MO 5 übernahm. Seither hatte er sich unermüdlich für die Einrichtung eines Spionage-Abwehrdienstes eingesetzt, der mit der Schaffung des Secret Service Bureau Mitte 1909 Wirklichkeit geworden ist.
Drummond hat schon gehört, daß Melville überzeugt ist, das ganze Königreich sei von einem Netz gut getarnter deutscher Spione überzogen, die eine Invasion der Britischen Inseln vorbereiten sollten. Bei ihrer letzten Begegnung in Kells Büro hatte Melville ihn aufgefordert, Spies of the Kaiser zu lesen, William Le Queuxs jüngstes Werk, vor eineinhalb Jahren erschienen und sofort ein Bestseller.
Neugierig geworden, hatte Drummond das Buch erworben, das den Untertitel Plotting the Downfall of England trägt. Im Vorwort, betitelt If England knew, schreibt Le Queux: Was Sie im vorliegenden Band, in Romanform geschrieben, lesen, basiert auf ernst zu nehmenden Fakten und behauptet weiter, die deutsche Geheimpolizei unterhalte derzeit über fünftausend Agenten in England. Über deren Organisation macht er höchst detaillierte Angaben, bis hin zum monatlichen Gehalt, das zwischen 10 und 30 Pfund Sterling liegen soll, je nach der sozialen Position des Agenten und dessen Aufgaben.
Drummond hat das Buch vom Anfang bis zum Ende gelesen und über den Erfolg dieses Machwerks gestaunt. Es war miserabel geschrieben und teilweise
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