Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
unzusammenhängend erzählt, und der Autor verwechselte sogar mehrmals seine Protagonisten miteinander. Im Stil lehnte sich Le Queux kräftig an Sir Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes an, ohne auch nur annähernd dessen Brillanz zu erreichen.
Erst als Drummond nach der Lektüre das Vorwort noch einmal überflog, fiel ihm ein Satz besonders auf: In den vergangenen zwölf Monaten habe ich, mit Hilfe eines wohlbekannten Polizeidetektivs, persönlich Ermittlungen zu diesen Spionen durchgeführt. War dieser wohlbekannte Polizeidetektiv etwa Melville?
Der hat gerade sein Glas leer getrunken und verschwindet nach drinnen, um Nachschub zu holen. Drummond, müde vom vielen Bier, wünscht sich, er könnte endlich ins Bett. Ein Glas noch, schwört er sich, dann gehe ich. Er hat erwartet, Melville wolle etwas mit ihm besprechen, aber der ist den ganzen Abend schweigsam gewesen. Captain Kell hatte gestern erklärt, er halte die Angelegenheit Seiler und Peterman für die bislang interessanteste Spur zu dem vermuteten deutschen Spionagering und werde deshalb Melville auf den Fall ansetzen, während Drummond ihm als Assistent beigeordnet werde. Melville hatte sich angehört, was bisher geschehen war, hatte jedoch keinen Kommentar dazu abgegeben.
Schon eine ganze Weile nimmt er wahr, daß sich neben ihm ein paar Männer streiten, aber auf einmal wird der Ton laut und aggressiv.
» Bei uns rumschnüffeln, was! Steckt eure Schweinerüssel in euren eigenen Trog!«, hört er, und ein anderer schreit: » Verfluchte Hunnen! Haut ab zu eurem gottverdammten Kaiser!« Ein junger Mann wird angerempelt und verschüttet sein Bier, ein Älterer tritt dazwischen und ruft auf englisch mit dickem deutschem Akzent: » Vott is zis? Laßt uns in Ruhe!«
Drummond macht ein paar Schritte zur Seite, um nicht mit hineingezogen zu werden, als Melville mit dem Bier zurückkommt und ihm ein Glas in die Hand drückt.
» Was ist denn da los?«, brummt er, aber im selben Moment erhält der ältere Deutsche einen heftigen Stoß vor die Brust und taumelt gegen Melville, dem das volle Glas aus der Hand fällt und auf dem Pflaster zerspringt, Bier bespritzt seine Hose. Der Deutsche weicht zurück und stammelt: » Excuse me! I haff not…« Weiter kommt er nicht, denn Melvilles Faust trifft ihn mitten ins Gesicht, so hart, daß er rücklings zu Boden stürzt und mit dem Hinterkopf auf das Pflaster prallt. Drummond ruft erschrocken: » Um Himmels willen! Was machen Sie denn– ?!« und hat gerade noch soviel Geistesgegenwart, Melvilles Namen zu verschlucken.
» Blasted bastard!« Der Detektiv tritt wütend gegen das Bein des Deutschen, aber der liegt da und rührt sich nicht mehr. Melville tritt noch einmal zu, gegen den Oberkörper, und noch einmal, gegen den Kopf. Blut rinnt dem Bewußtlosen aus der Nase und tropft auf die Steinplatten.
Der andere Deutsche läuft über die Straße und schreit: » Hilfe! Help! Police!« Vom Ende der Straße her schrillt die Pfeife eines Constables, eine zweite antwortet aus der anderen Richtung. Drummond ist plötzlich allein mit Melville und dem reglosen Mann auf dem Gehweg. Er packt Melville am Arm und zischt: » Was ist denn los mit Ihnen? Los, weg hier!« Der Detektiv starrt ihn aus blutunterlaufenen Augen an, einen Augenblick lang glaubt Drummond, er gehe ihm an die Kehle.
» Schon gut«, grunzt Melville. » Verdammte Deutsche! Einer weniger! Ab nach Hause.«
London, Gatti’s Café, 16. Juli 1911, Sonntag
Vivian und Emmeline betreten Gatti’s Café an der Ecke Strand und Adelaide Street, das für gutes Eis und mäßige Preise bekannt ist. Sie sind fast eine Viertelstunde zu spät, und Vivian ist aufgeregt. Gestern kam ein Briefchen von Seiler, in dem er schrieb, sein Aufenthalt in London sei um mehrere Wochen verlängert worden, und sie bat, ihm ein Wiedersehen zu gewähren. Er schlug auch gleich den Ort und die Zeit vor, und nun ist sie hier. Sie hat sich fein gemacht, trägt ein eng geschnittenes Sommerkostüm im Empirestil aus dunkelgrüner Schantung-Seide, darunter die weiße Bluse mit hochgeschlossenem Spitzenkragen und einen Hut in der gleichen Farbe wie das Kostüm mit dunkelvioletten Pleureusenfedern. Sie weiß nicht mehr, wie oft sie Emmeline auf dem Weg hierher gefragt hat, ob sie auch richtig gekleidet sei. Sie hatte Stunden vor dem Kleiderschrank verbracht und sich nicht entscheiden können, deshalb auch die Verspätung. Und dann hatte Emmeline sie auch noch wegen ihrer offensichtlichen Verliebtheit
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