Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
aufgezogen.
Das Lokal ist ziemlich voll, aber sie entdeckt ihn an einem der Tische vor der Fensterfront. Er sieht sie im selben Augenblick, steht auf und wartet, bis sie sich zu ihm durchgeschlängelt haben. Ob er auch so aufgeregt ist? Sie begrüßen sich, und Vivian stellt Emmeline und Seiler einander vor. Dann nehmen sie an dem kleinen Tischchen Platz. Seiler hat schon ein Kännchen Kaffee vor sich stehen, und Vivian und Emmeline bestellen sich jede einen kleinen Eisbecher, Emmeline auch einen Café filtré dazu.
Vivian geht gerne hierher. Die Caféstube, neben dem Speisesaal gelegen, ist ein hoher Raum mit gewölbter Decke, mit großen Wandgemälden und vergoldetem Stuck. Topfpalmen stehen zwischen den Tischen, und an der Rückseite des Raumes spielt ein Pianist, ungeachtet der Tageszeit, die Mondscheinsonate von Beethoven. Doch heute merkt sie kaum etwas von ihrer Umgebung. Warum sagt Seiler denn nichts? Er schaut sie an, dann Emmy, dann wieder sie.
Endlich räuspert er sich und erklärt, ein wenig steif, wie ihr vorkommt, wie sehr er sich freue, noch eine Weile in London zu sein. Dabei sieht er sie an, und sie weiß, mit London meint er nur sie.
Sie lächelt: » Das ist schön! Es freut mich auch!« Mehr fällt ihr nicht ein. Ein kurzes Schweigen entsteht.
» Na, da könnt ihr euch ja noch öfter sehen«, platzt Emmeline trocken heraus: » O je! Bitte um Verzeihung, Herr Seiler. Ich fürchte, das war recht vorlaut!«
Vivian stößt sie unter dem Tisch mit dem Fuß an, ist aber erleichtert, daß Emmeline den peinlichen Moment beendet hat. Und schon erwidert Seiler vergnügt: » Da gibt es nichts zu verzeihen, Miss Emmeline. Sie haben nur ausgesprochen, was ich gerne gesagt hätte, wenn mir meine Schüchternheit nicht in die Quere gekommen wäre.«
Emmeline lacht ihn an: » Ein schüchterner deutscher Offizier! Hat man so etwas schon gehört?«
Wie frech Emmy ist! Vivian wagt kaum aufzusehen, bis dieses Mal sie einen leichten Tritt gegen ihren Fuß spürt. Verdutzt blickt sie ihre Freundin an, dann Seiler, und weil die beiden so heiter sind, muß sie auf einmal auch lachen. Seiler fragt sie, wie lange ihr Vater den Buchladen schon hat.
» Sechzehn Jahre«, antwortet sie, » er hat ihn mit meiner Mutter gegründet«, und erzählt, wie der Vater sie nach dem Tod der Mutter ins Internat abgeschoben und wie allein gelassen sie sich gefühlt habe. Doch Vater habe getan, was er konnte, sie besucht und versorgt. In den Ferien wohne sie selbstverständlich bei ihm in London. Im Lauf der Zeit habe sie ihn als Vater schätzen gelernt. Seiler hört aufmerksam zu und wirft nur hin und wieder eine Bemerkung ein. Irgendwann merkt Vivian, dass sie nur redet und redet, inzwischen ist sie bei ihrem Interesse für die Malerei angekommen. Hat sie ihm das nicht schon im Laden erzählt? Warum blickt Emmeline sie denn so amüsiert an? Sie hat ja die ganze Zeit gar nichts gesagt, was so gar nicht ihre Art ist. Vivian verstummt.
» Ich fürchte, ich muß mich verabschieden«, sagt Seiler da, » sosehr ich Ihre Gesellschaft genieße. Leider habe ich noch eine Verabredung mit einem Vorgesetzten, da darf ich nicht zu spät kommen.«
Vivian erschrickt. Hat sie ihn mit ihrem Monolog vergrault? Ich bin eine verdammte Plaudertasche, denkt sie. Aber er sieht sie an: » Wann darf ich Sie wiedersehen, Miss Vivian, und Sie hoffentlich ebenfalls, Miss Emmeline?« Das beruhigt sie ein bißchen.
Sie vereinbaren ein weiteres Rendezvous für den kommenden Mittwoch, und er besteht darauf, sie beide einzuladen. Galant küßt er erst Emmeline, dann Vivian die Hand, setzt seinen Hut auf und geht. Vivian sieht ihm nach, bis er durch die Drehtür verschwunden ist.
» Netter Kerl«, sagt Emmeline, » für einen Offizier, noch dazu einen Preußen! Und schlecht sieht er auch nicht aus.« Sie nimmt ein Schlückchen Kaffee und zwinkert Vivian zu: » Na, ob du dir da nicht einen deutschen Spion geangelt hast, mein Täubchen?«
Vivian beugt sich mit leuchtenden Augen vor: » Glaubst du, er könnte ein Spion sein? Ach, das fände ich wahnsinnig aufregend!«
Emmeline lacht: » Das meine ich doch nicht ernst! Für einen Spion ist er viel zu sympathisch!«
» Schade. Das wäre doch bestimmt spannend, nicht wahr? Na ja, du hast wahrscheinlich recht.« Sie kratzt mit dem Löffelchen in ihrem leeren Eisbecher herum. » Ich finde ihn süß«, sagt sie, » aber er ist schon siebenundzwanzig. Das ist ganz schön alt.«
» Das ist perfekt«, sagt Emmeline, »
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