Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
laß bloß die Finger von den ganz jungen, das sind allesamt Dummköpfe! Die sehen in uns Frauen nur Spielzeug.«
Vivian leckt den Löffel sauber: » Weißt du, daß er in England aufgewachsen ist? In Southampton! Bis er vierzehn war.«
Emmeline nickt. » Das merkt man. So akzentfrei spricht doch keiner, der nicht hier erzogen worden ist. Und den Hampshire-Klang hört man immer noch durch, auch wenn’s lang her ist.« Sie grinst. » Der würde für die Deutschen schon deswegen einen guten Spion abgeben!«
Ob Emmeline ein wenig eifersüchtig ist? Vivian streicht sich eine Haarsträhne aus der Stirn und sagt trotzig: » Würde mich nicht stören. Ganz im Gegenteil.« Sie wirft einen Blick über die Schulter, ob auch niemand zuhören kann, dann beugt sie sich vor und fragt leise: » Sag mal, Emmeline, meinst du nicht, daß meine Brüste viel zu klein sind?«
Emmeline lacht. » Sei froh, Kindchen! Große Titten können eine schwere Last sein. Zugegeben, viele Männer mögen das, aber ich kenne auch welche, die sich dann zu sehr an ihre Mutter erinnert fühlen.«
Vivian macht ein zweifelndes Gesicht, und Emmeline, die in diesen Dingen schon so Erfahrene, sagt: » Wenn er sich wirklich in dich verliebt hat, spielt das auch gar keine Rolle. Du glaubst doch nicht wirklich, daß du ihm gleichgültig bist?«
Vivian zieht die Nase kraus und murmelt: » Weiß nicht. Er ist nicht gerade redselig. Vielleicht sucht er nur ein bißchen Zerstreuung.« Sie dreht ihre Teetasse hin und her. » Spielt wahrscheinlich sowieso keine Rolle. Früher oder später muß er ja ohnehin nach Deutschland zurück und wird mich bald vergessen haben. Wer weiß, vielleicht wartet dort eine Verlobte auf ihn.«
Emmeline lehnt sich zurück und lächelt: » Dummes Ding. Ich habe ihn mir sehr genau angesehen. Ich sage dir, der kommt wieder.«
London, Secret Service Bureau, 17. Juli 1911, Montag
Es ist halb neun, und Kell entläßt sie endlich in den Feierabend. Der Captain sieht müde aus. Er nimmt den Kneifer ab und massiert sich mit Daumen und Zeigefinger die roten Druckstellen, die dieser hinterlassen hat. Seine Augen sind gerötet, und eine steile Falte zieht sich von der Nasenwurzel bis fast zur Mitte der Stirn.
Drummond und Clarke warten noch, bis er das Büro abgeschlossen hat, und begleiten ihn bis zur Straße. Wie immer nimmt Kell eine Aktentasche mit nach Hause.
Clarke lädt Drummond ein, mit ihm noch ein Bier zu trinken. Stanley Clarke ist ein ehemaliger Army Captain, hat elf Jahre Dienst in Indien hinter sich und ist jetzt Kells Assistent. Er ist nur ein paar Monate länger beim SSB als Drummond. Er hat am 1 . Januar 1911 angefangen, und seine erste Aufgabe war, Kell beim Umzug zu helfen. Der Captain verlegte sein Büro von der Victoria Street nach Temple.
Clarke erzählt Drummond, daß er gleich nach dem Umzug zu einer dreiwöchigen Wanderung entlang der Küste von Essex und Suffolk aufgebrochen war. Er sollte Gerüchten über verdächtige Deutsche nachgehen, die in dieser Gegend angeblich eine Invasion vorbereiteten.
» Haben Sie etwas gefunden?« fragt Drummond.
» Nicht das geringste«, erwidert Clarke. » Ich schätze, diese Gerüchte stammen letztlich allesamt von diesem Le Queux. Die Leute, die seine Fortsetzungsgeschichten in der Daily Mail gelesen haben, sahen natürlich überall deutsche Spione, und daher kamen all diese Hinweise. Deutsche Kellner, die nachts verdächtige Lichtzeichen abgeben. Deutsche Touristen, die Brücken photographieren und den Verlauf von Telegraphenleitungen notieren. Entpuppte sich alles als leeres Gerede. Sprach darüber mit den zuständigen Chief Constables. Die sagten übereinstimmend, das sei pure Hysterie, hervorgerufen durch Le Queuxs Invasionsgerede. Wir sollten diesen Quatsch nicht ernst nehmen!«
Drummond sieht, als er den Namen des Schriftstellers hört, unwillkürlich Melville vor sich, wie dieser völlig von Sinnen auf den am Boden liegenden Deutschen losgeht. Er versucht, die Bilder zu vertreiben, und konzentriert sich auf die Erzählung seines Kollegen.
Als Clarke Mitte März von seiner Wanderung zurückgekommen ist, hat Kell ihn und Melville zu einer Unterredung gebeten. Der Captain machte sich Sorgen, denn das Büro werde aufgelöst, wenn es zwei Jahre nach seiner Gründung keine Erfolge nachweisen könne. Er erwarte, sagte Kell, daß wir uns etwas Neues ausdächten, wie an zuverlässige Informationen über Spione und Agenten zu kommen sei. Dabei sei es nur um die Deutschen
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