Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
gegangen und ihre angebliche Absicht, in England zu landen.
» Aber da gab es doch den Fall Helm«, sagt Drummond, » letztes Jahr, nicht wahr? Der hat doch bewiesen, daß es deutsche Spione gibt.«
» Natürlich gibt es welche«, sagt Clarke, » aber bestimmt nicht so viele, wie dieser Schriftsteller behauptet. Kann mir auch nicht vorstellen, daß sie eine Invasion vorhaben. Und dieser Helm, nach allem, was ich gehört habe, war der doch nur ein naiver Möchtegernspion.«
Clarke zögert, bevor er fortfährt: » Trotzdem, der Fall Helm war der erste Erfolg für uns. Ohne ihn würde das Bureau wahrscheinlich bald aufgelöst werden. Und Captain Kells Karriere wäre jäh zu Ende, denn er hat aus der Armee austreten müssen, um die Leitung zu übernehmen. Wegen seines Asthmas kann er auch nicht zur Army zurück. Wenn Helm nicht zufällig in Portsmouth erwischt worden wäre, hätte er wahrscheinlich einen Spion erfinden müssen.«
Drummond nickt nachdenklich. Er weiß, die Entlarvung des Leutnants Helm war der von der Politik dringend erwünschte Gegenschlag zur Borkumaffäre gewesen, die Anfang des Jahres 1910 England in Verruf gebracht hatte. Die deutsche Polizei hatte zwei britische Offiziere beim Auskundschaften der Befestigungen auf der Insel Borkum verhaftet und auch alle nötigen Beweise dafür bei ihnen gefunden. Im Dezember waren sie zu je vier Jahren Festungshaft verurteilt worden.
Clarke erzählt ihm auch, wie die Geschichte ausging: Kell hatte am 5. September 1910 durch ein Telegramm aus Portsmouth von Helms Verhaftung erfahren. Schon am nächsten Tag erhielt er alle Gegenstände, die Helm bei sich getragen hatte, darunter dessen Notizbuch. Kell fuhr sofort nach Portsmouth und übernahm die Leitung der Ermittlungen. Nach der Verhandlung Ende September bezahlte Helms Vater, der angereist war, die Geldstrafe und fuhr mit seinem Sohn nach Deutschland zurück. Captain Kell reiste unerkannt im selben Zugabteil mit, aber Vater und Sohn sprachen zu seiner Enttäuschung kaum ein Wort miteinander.
London, Secret Service Bureau, 18. Juli 1911, Dienstag
Morgens verteilt Kell Aufgaben. Außer Drummond ist nur Clarke anwesend. Melville ist mit einem Sonderauftrag unterwegs, Regan beobachtet die deutsche Botschaft. Der Captain leidet unter einem seiner Asthmaanfälle, sein Atem pfeift, und gerade kämpft er mit einem heftigen Hustenanfall. Beide Fenster in seinem Büro sind weit geöffnet, um Luft hereinzulassen.
Kell hat herausgefunden, daß es mehrere deutsche Buchhandlungen in London gibt, beispielsweise Schauers Buchhandlung in No. 63, Charlotte Street am Fitzroy Square in North Marlybone. Ein Haus weiter ist das heruntergekommene Hotel-Restaurant Alpes, das häufig deutsche Gäste haben soll. Benutzt der Spionagering deutsche Buchhändler als Mittelsmänner? Post nach und von Deutschland wäre in diesem Fall doch ganz selbstverständlich und unauffällig. Noch können wir kaum etwas anderes tun als spekulieren, denkt Drummond.
Kell hat in Schauers Buchhandlung einen Baedeker London gekauft. Dieses kleine rote Reisehandbuch behandle die 8-Millionen-Stadt auf über 450 dünnen Seiten mit großer Genauigkeit. Dazu kämen ein Straßenverzeichnis und vollständige Stadtpläne, komplett mit eigenen Plänen für Untergrundbahnen, Buslinien und Eisenbahnstrecken.
» Das ist schon die 16. Auflage in englischer Sprache. Ein überaus nützliches Buch«, sagt Kell und zeigt Drummond, daß es in London eine ganze Reihe deutscher Vereine gibt, darunter einen deutschen Offiziersklub, der sich jeden Mittwoch um neun Uhr im Restaurant Gambrinus, 56 Regent Street, trifft; auch eine German Gymnastic Society. Beide seien wohl eine Beobachtung wert. Aber das geht natürlich nicht. Es fehlt an geschulten Beobachtern, es fehlt an gewichtigen Verdachtsgründen, und last but not least ist es nicht die feine englische Art.
Kell entscheidet, daß der Bookshop beobachtet werden soll; Peterman darf aber keinesfalls darauf aufmerksam werden. Durchsuchungen und Festnahmen wie von Melville vorgeschlagen, lehnt er ab. Die Deutschen würden sich doch nur neu organisieren, wären gewarnt, und um so schwerer würde es werden, sie dann aufzuspüren. Erst im Kriegsfall oder bei unmittelbar drohender Kriegsgefahr seien sie alle zu verhaften. Das ist die vernünftigste Vorgehensweise, findet Drummond. Gut, daß Melville nicht da ist, sonst gäbe es eine endlose Debatte über diese Strategie.
London, Cecil Court, 19. Juli 1911, Mittwoch
Vivian
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