Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
ihren Lippen, wenn sie etwas von ihren Verhältnissen erzählt. Sie hat sie einmal gefragt, ob sie nicht heiraten wolle, aber Emmeline hat gelacht und gesagt: » Nein, ich denke gar nicht daran! Was ist das denn anderes, als sich auf Gedeih und Verderb einem Mann auszuliefern? Ein Geschäft ist das, weiter nichts, Liebe gegen Lebensunterhalt. Und früher oder später wird daraus Haushalt gegen Lebensunterhalt. Irgendwann sitzt du nur noch da mit dem Strickzeug auf dem Schoß. Nichts gegen Männer, aber so fest binden möchte ich mich an keinen.« Und sie setzte ein süffisantes Grinsen auf: » Ich verschleiße sie lieber. Das macht viel mehr Spaß!«
Vivian war geschockt, und es war ihr wohl anzumerken, denn Emmeline griff nach ihrer Hand und sagte: » Hör mal, Vivian, nimm das nicht so ernst, was ich gerade gesagt habe. Ich gebe zu, daß ich ziemlich abenteuerlustig bin, aber ich nütze meine Kavaliere nicht aus. Ich sehne mich genauso wie du nach dem Richtigen. Und sollte der mir eines Tages wirklich über den Weg laufen, dann will ich auch bei ihm bleiben, selbst wenn er kein weißes Pferd reitet. Nur heiraten lasse ich mich nicht.«
Kiel Gaarden, 4. November 1911, Samstag
Als Seiler am späten Abend in sein tristes möbliertes Zimmer im Stadtteil Gaarden zurückkehrt, findet er wieder einen Brief von Vivian vor. Er reißt das blaßviolette Kuvert auf, setzt sich aufs Bett und liest. Sie schreibt, daß sie sich über seinen Brief sehr gefreut hat und daß auch sie an ihn denkt. Eine verrückte, wilde Sehnsucht nach ihr packt ihn, und eine Weile starrt er blicklos vor sich hin. Dann liest er weiter. Sie schreibt von der Durchsuchung des Buchladens und welche Verwüstung die rohen Polizisten dabei angerichtet haben:
Denk Dir nur, sie haben ein geheimes Waffenlager der deutschen Armee bei ihm vermutet, diese Dummköpfe! Natürlich haben sie nichts gefunden, und natürlich haben sie sich nicht einmal bei ihm entschuldigt.
Es ist gut, daß Du Deinen Brief ans College adressiert hast, denn ich befürchte wegen des Verdachts gegen meinen Vater, daß meine Post gelesen werden könnte, obwohl das einfach unerhört wäre. Wenn ich aber in London bin, das nächste Mal wahrscheinlich erst zu Weihnachten, sende Briefe bitte an Emmeline. Ich füge ihre Adresse gleich hier an.
Weiter teilt sie ihm mit, auch in Cheltenham sei die Invasionsangst ausgebrochen. Das Ladies’ College wolle im Kriegsfall als Militärhospital dienen, habe ein Red Cross Detachment gegründet und richte in der Lower Hall ein Lazarett ein. Wegen ihres deutschstämmigen Vaters habe sie keinen leichten Stand mehr im College, obwohl seine Loyalität doch eindeutig England gehöre. Das Ausmaß der Deutschenangst in England habe erschreckende Züge angenommen. Der Krieg scheine vor der Tür zu stehen. Sie hoffe inständig, daß alle rechtzeitig wieder zur Besinnung kämen. Falls aber nicht, sollten sie zusammen in ein Land fliehen, das diesen Unsinn nicht mitmache. Italien vielleicht.
Trotz der eher schlechten Nachrichten ist er glücklich über ihren Brief. Zugleich aber wird ihm um so stärker bewußt, wie weit sie voneinander entfernt und wie gering die Chancen für ein baldiges Wiedersehen sind. Wieder spürt er diesen schmerzhaften Druck in der Brust.
Er wird sich in die Arbeit stürzen. Morgen beginnt ein vierwöchiger Lehrgang in der Torpedowerkstatt Friedrichsort. Wann lassen sie ihn endlich wieder auf ein Boot?
Kiel, 3. Dezember 1911, Sonntag
Alles ist grau. Der Asphalt der Promenade vor der Seebadeanstalt, der Himmel über der Förde, das Wasser, die Kriegsschiffe, und grau ist auch seine Stimmung. Und es ist kalt. Er hat nur den leichten Überzieher zur Uniform an und friert ein wenig. Umsonst hat er versucht, sich einzureden, daß ihm eine andere begegnen würde, irgendwann, bei irgendeinem Theaterbesuch vielleicht. Es ist Vivian, die er will, keine andere, und selbst das hübsche junge Mädchen, das unter Bewachung seiner Eltern gerade an ihm vorbeispaziert und ihm einen langen Blick schenkt, läßt ihn gänzlich kalt.
Er schnippt die halb gerauchte Zigarette übers Geländer, wendet sich ab und geht langsam die Wasserallee in Richtung Marineakademie hinauf, obwohl es schon dunkel wird und die Laternen angehen. Der Lehrgang in der Torpedowerkstatt ist gestern zu Ende gegangen, und heute ist kein Dienst. Aber was er mit dem Abend anfangen soll, weiß er nicht. Herumsitzen in seiner trostlosen Kammer in Gaarden, bis ihm die Augen
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