Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
zufallen? Nein. Nach einem Bierabend mit den Kameraden ist ihm auch nicht. Er könnte weitergehen bis zum Leuchtturm, der die Einfahrt in den Kaiser-Wilhelm-Kanal markiert, dort gibt es immer etwas zu sehen, Schiffe aller Größen beim Einschleusen zum Beispiel. Drei oder vier Kilometer Fußweg sind das, an der Wiker Bucht entlang. Dann zu Fuß zurück. Das wird ihn wenigstens müde machen.
Ein Herr kommt ihm entgegen, in einem geschmacklosen braunkarierten Reiseulster, eine Sportkappe auf dem Kopf und einen gerollten Schirm schwingend. Als sie fast auf gleicher Höhe sind, lüftet der Mann seine Kappe und sagt: » Da sind Sie ja! Hab Sie schon gesucht, Seiler!«
Seiler schaut ihn verblüfft an. Der Mann trägt einen gestutzten, graumelierten Spitzbart und zwinkert ihn aus geschlitzten Augen vergnügt an. Natürlich! Reimers, der Mann mit den vielen Gesichtern. Oder besser gesagt, mit den vielen Bärten. Er freut sich, ihn wiederzusehen, obwohl er ihn anfangs nicht recht gemocht hat.
» Haben Sie Zeit?«
Seiler nickt stumm.
» Dann lassen Sie uns hinaufbummeln zum Bellevue«, schlägt Reimers vor, » dort können wir einen Happen essen und uns dabei unterhalten, natürlich nur, wenn’s konveniert. Sie sind selbstverständlich eingeladen.«
Im noblen Restaurant Bellevue ist ein Tisch für sie reserviert. » Auf Verdacht«, erklärt Reimers, während er den häßlichen Mantel auszieht und der Garderobiere überläßt, » war ja nicht sicher, ob ich Sie finde. Hätte sonst versuchen müssen, noch schnell eine einsame Dame aufzutreiben!« Er grinst und kneift ein Auge zu.
Reimers hat den Filetbraten mit Trüffeln und Kartoffeln à la Royal bestellt und läßt es sich schmecken. Dazu trinkt er einen Portwein. Seiler hat sich für Königsberger Klopse entschieden, aber mit seinem Appetit ist es nicht weit her. Auf den Nachtisch verzichtet er. Beim Kaffee erzählt ihm Reimers, daß er soeben von einer weiteren Reise durch England zurückgekehrt sei. Er hat von der Durchsuchung von Petermans Buchhandlung Mitte Oktober gehört und ist neugierig auf den Mann geworden. Daher hat er, mit aller gebotenen Vorsicht, mit ihm Kontakt aufgenommen, aber ohne zu verraten, daß er deutscher Agent ist. An drei aufeinanderfolgenden Tagen hat er dabei festgestellt, daß das Geschäft unter Beobachtung steht. Jedesmal ist ihm ein Detektiv besonders aufgefallen, ein großer Kerl mit abstehenden Ohren. » Der bummelte zuerst in der Gasse auf und ab, am nächsten Tag stand er in der offenen Tür des Kamerageschäfts gegenüber, und tags darauf war er auch wieder da, lungerte an der Ecke zur Charing Cross herum und las Zeitung, als ob es dafür keinen bequemeren Platz gäbe.«
Seiler vernimmt es mit Unruhe und macht sich Sorgen um Vivian. Von ihr scheint Reimers nichts zu wissen. Um die Zeit ist sie ja auch in Cheltenham.
Beim Whisky kommt Reimers in Erzähllaune und verrät Seiler, daß in England nicht mehr als fünfzehn deutsche Agenten tätig sind, die ausschließlich Informationen über die britische Flotte sammeln und weitergeben. Den meisten von ihnen fehle das Fachwissen in Marineangelegenheiten. Der Generalstab des Heeres, dessen Abteilung III b, also der Nachrichtendienst, eigentlich für Informationsbeschaffung im Ausland zuständig sei, unterhalte Agenten nur in Rußland und Frankreich. Die gelten der Armee als potentielle Kriegsgegner, nicht aber England. Dort nähre man sogar noch die Illusion, daß die Briten uns in einem Krieg mit Frankreich und Rußland zur Seite stehen würden.
» Von einer Invasionsvorbereitung, wie von den meisten Engländern befürchtet, kann keine Rede sein«, sagt Reimers.
Nach seinem dritten Whisky teilt er Seiler mit, daß man im Reichsmarineamt mit den Ergebnissen seiner Kundschaftertouren sehr zufrieden sei. Man habe beschlossen, ihm eine finanzielle Vergütung für die drei Monate in England zukommen zu lassen. Da dies aber nicht auf offiziellem Wege geschehen könne, sei er beauftragt, ihm das Geld in bar zu übergeben, hier und jetzt. Er schiebt ihm ein Kuvert hin und sagt: » Bitte sehr! Dreihundert Mark.«
Das ist viel Geld. Seilers Monatsgehalt als Oberleutnant zur See beträgt, den Wohngeldzuschuß eingerechnet, gerade mal 145 Mark. Er unterschreibt die Quittung. Reimers faltet sie sorgfältig zusammen und schiebt sie in die Jackentasche. Dann verlangt er die Rechnung.
Nebeneinander gehen sie zum Hauptbahnhof, Reimers will den Nachtzug nach Berlin nehmen. Beim Abschied sagt er: »
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