Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
begehrt sind. Wegen der späten Anmeldung ist es ihm nicht mehr gelungen, Hotelzimmer in der Stadt selbst zu buchen, aber im Strandhotel in Alt-Heikendorf am Ostufer hat er bereits zwei Zimmer reserviert, vom 19. Juni bis einschließlich Sonntag, den 30. Juni. Und von dort soll jede halbe Stunde ein Dampfer zu den Kieler Seegartenbrücken gehen. Die Fahrt soll nicht ganz eine Stunde dauern und müßte beste Aussicht auf die versammelten Yachten und Kriegsschiffe bieten.
Im Anschluß an die Festwoche will er dann für drei Tage nach Leipzig, das Zentrum des deutschen Buchhandels, um dort Kontakte zu knüpfen.
Miss Rutherford klopft, sie ist fertig für heute, empfängt ihren Lohn und verabschiedet sich. Vivian zieht sich in ihr Zimmer zurück, setzt sich ans Tischchen und zündet sich eine Mayblossom an. Eine Weile blättert sie in einer Modezeitschrift herum, dann legt sie sich aufs Bett, verschränkt die Arme hinter dem Kopf und träumt vor sich hin. Sie versucht, sich das Wiedersehen mit Adrian vorzustellen. Neun Monate ist es her, seit wir uns zum letztenmal gesehen haben, eine Ewigkeit! Briefe seither, nichts als Briefe. Ach, und Emmeline muß das natürlich auch erfahren, gleich morgen nachmittag. Ich bin so gespannt, was sie zu erzählen hat. Vorgestern haben sie sich kurz getroffen, und da hat sie angedeutet, daß sie einen Neuen kennengelernt hat. Wieder mal einen ohne weißes Pferd, aber er scheint ihr zu gefallen. Mal sehen, wie lange sie braucht, um den Neuen zu verschleißen.
Kiel, Seegartenpromenade, 19. Juni 1912, Mittwoch
Kaiserwetter. Die weite Wasserfläche der Förde glitzert im Sonnenschein, kein Wölkchen trübt den strahlend blauen Himmel. Die Stadt hat sich für die 30. Kieler Woche geschmückt. Fahnen und Girlanden säumen die Seegartenpromenade, Militärkapellen spielen. Yachten bereiten sich auf die Regatten vor, und die Kriegsschiffe haben über die Toppen geflaggt. Eben ist die kaiserliche Yacht Hohenzollern eingetroffen, blendendweiß mit goldgelben Schornsteinen, die goldene Kaiserstandarte im Großtopp. Seine Majestät wurden mit dreiunddreißig Schuß Salut begrüßt, deren Donner wie ein mächtiges Gewitter über die Förde rollte und aus der Stadt widerhallte.
Tausende Besucher sind in die Stadt geströmt, und überall sind Scharen von festlich gekleideten Menschen unterwegs. Vor den Fahrscheinhäuschen der Hafenrundfahrt warten sie in langen Schlangen, drängen sich um Kioske mit Andenken und Postkarten. Würstchenverkäufer, Eisstände und Blumenfrauen machen das Geschäft des Jahres.
Seiler und die meisten anderen Offiziere der Flottille sind für die Dauer der Festwoche freigestellt. Die Unterseeboote, sechzehn an der Zahl, sind für die Zeit der Festlichkeiten in einem entlegenen Werftbecken an der Ostseite der Förde versteckt worden, um sie vor neugierigen Augen zu schützen.
Vor vierzehn Tagen hat ihn der Brief von Vivian erreicht, in dem sie ihren Besuch in Kiel ankündigte, zusammen mit ihrem Vater. Gestern nacht hat er von ihr geträumt. Ein wirrer, aber auch schöner Traum. Er weiß nur noch, daß er ihr Blumen überreicht hat, bunte Papierblumen, mit Silberflitter bestreut.
Nun erwartet er sie am Bahnhof, im Tagesanzug an Land, kurzer dunkelblauer Überzieher mit weißer Hose und Mütze, den Dolch an der Seite, einen kleinen Blumenstrauß in der Linken. Hinter ihm warten zwei Matrosen im Ausgehanzug, die sich um das Gepäck kümmern werden. Eine richtige kleine Abordnung zum Empfang, ein blaues Inselchen im hektischen Menschengedränge der völlig überfüllten Bahnhofshalle.
Er ist nervös. Wie wird das Wiedersehen sein, nachdem sie sich so lange nicht gesehen haben? Und wird sich eine Gelegenheit ergeben, mit ihr allein zu sein, oder ist ihr Vater immer dabei?
Seine Nervosität hat auch noch einen anderen Grund. Ob es diesmal passieren wird zwischen ihnen? Er hat in seinem Leben nur zweimal mit einer Frau geschlafen, beim erstenmal war er noch Gymnasiast. Eine Freundin der Mutter hatte ihn verführt. Unbehagen über ihren welken Körper will in ihm aufsteigen, er verdrängt es. Das zweite Mal war während seiner Torpedobootzeit in Wilhelmshaven. Alkohol war im Spiel, und die Erinnerung an das Bordell und die ordinären Weiber ist ihm unangenehm. Er fühlt sich schrecklich unerfahren und hat lange überlegt, ob er einen Kameraden um Rat fragen könnte, mit zweien ist er ganz gut befreundet. Lieber nicht, hatte er entschieden. Sollte sich das herumsprechen,
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