Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
treffen als eine verlorene Seeschlacht, wie Freiherr von Schleinitz bereits 1908 in der Deutschen Revue geschrieben hatte. Der Admiral war jedoch vor zwei Jahren verstorben.
So interessant er das alles findet, Seiler ist müde vom Schampus und kann der Unterhaltung nicht mehr richtig folgen. Der junge Leutnant von U 7 scheint eingenickt zu sein. Bevor ihm das auch passiert, verabschiedet er sich und macht sich durchs Düsternbrooker Gehölz auf den kurzen Weg zu seiner neuen Wohnung. Es regnet ein wenig, und die Gaslaternen sind bereits gelöscht. Unter den dunklen Bäumen fällt ihm der Abend mit Vivian im Pittville Park ein. Cheltenham, wie lang ist das jetzt her? Fast acht Monate. Dort haben sie sich zum erstenmal geküßt.
Eigentlich schade, daß er kein Tagebuch führt. Wäre es nicht schön, wenn er seine Erlebnisse in England aufgeschrieben hätte? Es ist ja zugleich die Geschichte seiner Liebe zu Vivian. Seine Reisen nach Portsmouth und Rosyth wären es ebenfalls wert gewesen. Spionage in England! Auch wenn das für sein Gefühl übertrieben klingt, so war es doch spannend und abenteuerlich.
Ob er sich in ein paar Jahren noch an alles erinnern wird? Wer weiß, vielleicht wird er im Alter seine Memoiren schreiben wollen, wie es die Admirale im Ruhestand tun? Dann wäre es jedenfalls nützlich, Aufzeichnungen zu haben. Viel interessanter wäre es freilich, seine Gefühle und Stimmungen festzuhalten. Eine Art Seelenbuchführung, nur für ihn selbst.
London, Cecil Court, 23. Mai 1912, Donnerstag
Am Nachmittag blättert Vivian in der Times herum . Gestern, so liest sie, ist Emmeline Pankhurst, die bekannte Anführerin der Suffragettenbewegung, von einem Londoner Gericht wegen Verschwörung und Anstiftung zu den Ausschreitungen zu neun Monaten Gefängnis verurteilt worden.
Da hat Emmy Glück gehabt, denkt sie, sie ist mit nur einer Woche davongekommen. Und ich natürlich auch, obwohl ich deswegen aus dem College geflogen bin.
Vater hat ihr den Rauswurf längst verziehen, zumindest spricht er nicht mehr davon. Sein Geschäft geht trotz der Polizeiaktion im letzten Herbst nicht schlecht, ungeachtet der bösartigen Zeitungskommentare, die damals erschienen sind. Und er ist rühriger als sonst. Es kommt ihr vor, als hätte ihn diese dumme Durchsuchung mit Energie aufgeladen. Irgendwie paßt das zu ihm: jetzt erst recht!
Er hat beschlossen, einen Telephonanschluß in den Buchladen legen zu lassen, und denkt über eine Erweiterung des Sortiments nach. Er will jetzt Unterhaltungsliteratur dazunehmen, allerdings nur, soweit sie mit Seefahrt zu tun hat.
Vivian freut sich darüber. Sie hat es immer schade gefunden, daß er keinen normalen Buchladen führt. Keine Weltliteratur, keine Poesie, sondern nichts als Fachliteratur über Schiffe und Kriegsschiffe und alles, was dazugehört. Lauter langweiliges Zeug.
Unten in der Küche ist Miss Rutherford, die Haushälterin, mit der Zubereitung des Abendessens beschäftigt. Um halb sieben steht das Essen auf dem Tisch, Oxtail Soup, als Hauptgang Irish Stew mit Kartoffeln und Zwiebeln, aber nicht mit Hammel, weil Vivian das nicht mag, sondern mit kleingeschnittenem Rindfleisch. Zum Nachtisch gibt es eine Rhabarberpastete.
Nachdem sie gegessen haben und Miss Rutherford den Tisch abgeräumt hat, sagt ihr Vater: » Ich habe noch eine Neuigkeit, Vivian, und ich hoffe, du freust dich darüber.«
Sie schaut ihn gespannt an.
» Was hältst du davon, wenn wir verreisen, und zwar nach Deutschland? Ich habe mir gedacht, wir könnten zur Kieler Woche fahren, sagen wir mal für zwölf Tage. Der Laden wäre dann vom 17. Juni bis zum 1. Juli geschlossen.«
» Wirklich? Ach, Vater, das wäre wunderbar!« Vivian springt auf, umarmt ihn und gibt ihm einen schmatzenden Kuß auf die bärtige Wange.
» Ich muß ja sowieso für ein paar Tage nach Leipzig, und da habe ich mir gedacht, warum nehmen wir dann nicht die Kieler Woche mit. Ich würde gern mal sehen, was aus dem alten Hafen geworden ist, ich war ja weiß Gott wie lange nicht mehr dort. Und wir können uns die Regatten anschauen!« Er zwinkert ihr zu. » Und du kannst deinen Herrn Oberleutnant wiedersehen. Falls du das willst.«
» Aber ja!« Vivian ist begeistert und kann es kaum erwarten, Adrian die Neuigkeit mitzuteilen. In drei Wochen schon!
In Kiel will ihr Vater deutsche Seekarten einkaufen, die erheblich genauer als britische sein sollen und seit Childers Hinweisen in The Riddle of the Sands in englischen Marinekreisen
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