Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
langen Aufenthalt hat er nicht gerechnet.
Kiel, 20. Juni 1912, Donnerstag
Um 6 Uhr 30 morgens trifft Drummond Melville am Bahnhof, wie am Abend zuvor ausgemacht. Der Lokalbahnzug braucht eine gute halbe Stunde für die dreißig Kilometer bis Kiel, wo sie das nächste Schiff nach Heikendorf nehmen. Ein heftiges Gewitter mit Regenböen zieht über die Förde, und sie müssen in den Salon flüchten. Als der kleine Dampfer kurz vor halb neun am Ostufer anlegt, hat sich das Unwetter bereits verzogen, und der düstere Himmel lichtet sich. Da und dort scheint schon die Sonne durch. Sie gehen hinauf zum Strandhotel, im Gartenlokal werden noch die nassen Tische abgewischt. Die Gäste frühstücken drinnen. Von Seiler und Petermans keine Spur. Im Hotel weiß man nicht, wo die Herrschaften sind, wahrscheinlich schon nach Kiel hinüber, meint der Portier. Melville flucht.
Drummond wäre lieber ohne ihn unterwegs und überlegt, wie er sich abseilen kann. Da fällt ihm Major Edmonds Auftrag ein, so viele Informationen wie möglich zu sammeln.
» Ich könnte mir doch inzwischen«, sagt er zu seinem Begleiter, » mal die Werften näher ansehen und dabei die Liegeplätze der Torpedoboote und Unterseeboote erkunden. Das hat mir Major Edmonds aufgetragen. Anschließend fahre ich nach Heikendorf zurück, um zu sehen, ob Seiler und Petermans inzwischen wieder da sind.«
Melville ist einverstanden. Er selbst werde zurück nach Kiel fahren, um dort Ausschau nach den Verdächtigen zu halten.
Auch dieser Tag endet ergebnislos. Drummond hat die Werften nicht besichtigen können, weil der Besuch nur für Reichsangehörige erlaubt ist, und U-Boote hat er auch nirgendwo gesehen. Melville hat seine Kundschaft, wie er sagt, auch nicht entdecken können, obwohl er zur Essenszeit fast alle Gaststätten der Stadt abgeklappert hat. Er hat dann den ganzen Nachmittag im Gedränge auf der Uferpromenade nach ihnen gesucht, auch ohne Erfolg.
» Weiß der Teufel, wo die stecken«, knurrt er, » morgen früh nehmen wir den ersten Zug nach Kiel, den um 5 Uhr 17. Ich will spätestens um sieben vor dem Hotel sein. Dürfen uns nicht nochmal durch die Lappen gehen.«
Kiel, Förde, 21. Juni 1912, Freitag
Kurz vor acht zieht Seiler Fock- und Hauptsegel auf, stößt die Jolle vom Steg ab und rudert sie mit ein paar Schlägen ins freie Wasser. Er zieht die Riemen ein, verstaut sie unter den Duchten und setzt sich in die Achterplicht, den linken Arm über der Ruderpinne, in der Rechten wie Zügel das Reep der Großschot. Vivian hat sich ganz nach vorn gesetzt, und Peterman hat ihm gegenüber Platz genommen, so weit zurückgelehnt, daß er dem Baum nicht in die Quere kommt. Das Boot ist reichlich groß für drei, bei der Marine war es für sechzehn Mann zugelassen.
Das Wetter ist freundlich, weiße Wolken treiben über den blauen Himmel, am Ufer leuchten Bäume und Blumen im Sonnenschein. Ein frischer Nordwest weht und zwingt ihn zum Hinaufkreuzen nach Laboe. Das ist schon des Verkehrs wegen schwierig. Die Förde wimmelt buchstäblich von Segelbooten aller Art, dazwischen tuten sich die Dampfer der Rundfahrt ihren Weg frei. Zuerst muß er nach Westen in die Förde hinaus halten, direkt auf die Holtenauer Schleusen zu, bis er den großen Block der Friedrichsorter Kaserne querab an Steuerbord hat. Jetzt heißt es wenden, das Boot durch den Wind drehen und Nord steuern, um klar von Kap Möltenort zu kommen. Peterman macht den Vorschoter, während Seiler mit » Ree!« Ruder legt. Das Boot dreht nach Steuerbord an, und Seiler ruft ihm zu: » Back die Fock!« Als das dreieckige Focksegel zu flattern beginnt, kommandiert Seiler: » Über die Fock!« Peterman wirft die Fockschot los und holt sie an der neuen Leeseite dicht. Das Segel füllt sich und beschleunigt die Drehung, während der Wind das Großsegel samt Baum auf die andere Seite drückt.
Hat reibungslos geklappt, denkt Seiler, der Buchhändler hat nichts aus seiner Zeit als Seemann vergessen. Jetzt ein wenig nach Lee abfallen, dann kann er hart am Wind Fort Stosch ansteuern, dessen grasbewachsene Wälle Steuerbord voraus liegen, eine gute Seemeile entfernt. Sobald sie am Fort vorbei sind, ist der Weg nach Laboe frei.
» Komischer Name«, bemerkt Vivian, » stammt er vielleicht von einem Franzosen, den hier ein Windstoß erwischt hat?«
Das Boot liegt jetzt hart über, das Wasser zischt und gurgelt, ab und zu wirft der plumpe Bug einen Gischtschauer auf, in dem für Sekunden ein funkelnder Regenbogen
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