Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
wiederkommen. Er ist nämlich heute morgen nach Greenwich gefahren. Vor ein Uhr wird er nicht zurück sein.«
Seiler nickt und will sagen, daß er nur Widenmanns Bücher abholen will, aber sie fährt schon fort: » Die Bestellung für den Herrn Kapitän ist unten im Basement.« Sie nickt zur Treppe hin: » Ich war gerade dabei, es, wie sagt man, wickeln? Einpacken? Ein-zu-packen? Ach, ich bin ganz aus der Übung mit meinem Deutsch! Möchten Sie sich vorher überzeugen, ob alles komplett ist?«
» Ich bitte Sie, ich glaube Ihnen das auch so, Miss Peterman«, antwortet Seiler.
» Tun Sie es lieber trotzdem«, befiehlt sie, » ich komme gleich nach.« Sie eilt in den hinteren Teil des Ladens, und Seiler steigt die steile Treppe hinab, vorsichtig, um mit seinen glatten Ledersohlen nicht auf den gewachsten Stufen auszugleiten. Der Kellerraum ist genauso geschnitten wie der Ladenraum darüber, ist aber ein wenig niedriger. Auch hier Regale, wo immer sich Platz fand; ihr poliertes Holz, vielleicht Mahagoni, schimmert wie dunkler Honig im warmen Schein einer elektrischen Deckenlampe. Ein Fenster gibt es natürlich nicht, aber eine Tür in der Rückwand. Halb unter der Treppe steht ein großer, tischhoher Kartenschrank, der bis in die Mitte des Raumes ragt. Hier bewahrt Peterman wohl die See- und Landkarten auf. Ein kleines Sofa, eine Stehlampe und eine dreistufige Klappleiter komplettieren die Einrichtung. Auf dem Kartenschrank liegen auf einem Bogen Packpapier zwei Bücher und eine große Seekarte; das wird die Bestellung für den Attaché sein. Seiler tritt näher und schaut sie sich an. Das obenauf liegende Buch ist in dunkelblaues Leinen gebunden, der Titel in Goldbuchstaben eingeprägt: Naval Gunnery heißt es und darunter: A Description & History of the Fighting Equipment of a Man-Of-War. Ein Buch über Schiffsartillerie also. Er schlägt es auf. Der Autor ist ein Herbert Garbett, erschienen ist es 1897, eine Erstausgabe mit dem Eindruck Published with the Approbation and Permission of the Lords Commissioners of the Admiralty. Das andere Buch ist eine technische Abhandlung über Stahlveredelung und Schmiedestähle, voller Tabellen und Formeln.
Die Karte ist noch lose gerollt. Bezeichnet ist sie als Scotland-East Coast, FIRTH OF FORTH , surveyed by H. M. Surveying Ship Research 1897. Dreizehn Jahre alt, denkt Seiler, warum interessiert sich Widenmann für die Mündung des Forth River oben in Schottland? Ist dort nicht auch die berühmte Eisenbahnbrücke, eine der größten der Welt?
Über seinem Kopf hört er die junge Frau hin und her laufen, dann klicken ihre Absätze auf der Treppe.
» Excuse me«, sagt sie atemlos, » father always–«, sie unterbricht sich, » Vater hat gesagt, ich soll die Türe abschließen, solange er nicht hier ist, vor allem, wenn ich nicht oben im Laden bin. Er hat immer Angst, ein Dieb oder so jemand könnte hereinkommen.« Sie schüttelt den Kopf, als wäre das eine völlig unsinnige Vorstellung. Sie legt die beiden Bücher aufeinander, den Lieferschein obenauf und schlägt alles schnell und geschickt in Packpapier ein. Seiler schaut ihr zu und spürt, wie ihm warm wird. Sie sind ganz allein in diesem Kellerraum. Was, wenn er sie einfach in den Arm nähme und küßte?
» Und wie gefällt es Ihnen so in London, Mr. Seiler?« fragt sie mit einem Seitenblick zu ihm hin, während sie Schnur um das Päckchen schlingt und verknotet.
» Nun, es ist eine wirklich faszinierende Stadt, Miss Peterman«, erwidert er auf englisch, » leider werde ich nur ein paar Tage hier sein.«
» Darf ich Sie fragen, wie es kommt, daß Sie so ausgezeichnet Englisch sprechen?« fragt sie, » Ich kann nicht einmal eine Spur von Akzent entdecken.«
» Meine Mutter ist Engländerin«, antwortet Seiler, » und ich bin in Southampton zur Schule gegangen. Mein Vater ist Deutscher, er war dort Agent für den Norddeutschen Lloyd.«
» Ach«, sagt sie, » das ist ja komisch. Ich habe auch einen deutschen Vater, und meine Mutter war ebenfalls Engländerin. Ich bin aber hier in London aufgewachsen.« Sie knotet blaue Bändchen um die gerollte und verpackte Karte, dann sagt sie: » Fertig!« Sie sieht ihn an und fragt: » Wann müssen Sie denn zurück nach Deutschland?«
Goldene Pünktchen vom Lampenlicht spielen in ihren Augen, er kann den Blick gar nicht abwenden. Ihre Pupillen sind erstaunlich groß, und ein dunkelblauer Kranz umrahmt die blaugrüne, fast türkisfarbene Iris. Noch nie hat er einer Frau so in die
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